Mehrere Texte parallel zu lesen, ist für mich vollkommen normal und ich schätze, das geht anderen Viellesern und Bücherliebhabern ähnlich, erst recht, wenn sie dabei zudem immer wieder mit Pflichtlektüren zu tun haben. Für mich war das zuletzt mit Martin Suters „Ein perfekter Freund“ und Paula Hawkins „Girl on the Train“ so – und das war in mehr als einer Hinsicht etwas ‚doppeltes‘ ….
denn bei Suters Roman war es die zweite Lektüre mit Notizbuch auf dem Schoß und Diskussionsthemen für mein Uniseminar „Erinnern und Vergessen (nicht nur) in der Kriminalliteratur“ im Hinterkopf und von Hawkins‘ Roman hatte ich zuvor die Verfilmung gesehen.
Dass ich dennoch eine Weile brauchte, um mich an die Details des Plots zu erinnern und mir manch kleinere Twist erst beim Wiederlesen in den Sinn kam, könnte der vergangenen Zeit geschuldet sein. Überdies scheint das genretypisch – in Thrillern wie Krimis sind Plottwists häufig so sehr auf Überraschungseffekte und kurzzeitigen Spannungsaufbau hin gebaut, dass die Plausibilität leidet, und das wiederum macht es schwer, sich Zusammenhänge zu merken.
Während der Lektüre von Hawkins Roman musste ich so nicht von ungefähr an Glausers Vorstellung von „Fuselspannung“ denken: über weite Strecken wird künstlich Spannung erzeugt, in dem bewusst irreführend zwischen den Perspektiven gewechselt oder innerhalb einer Perspektive Zeitsprünge eingebaut werden.
Dabei ist die Grundidee ja nicht ohne Reiz: Rachel, eine Trinkerin mit Filmrissen, Gedächtnisproblemen und einer alles anderen als zuverlässigen Wahrnehmung glaubt, relevante Beobachtungen zu einem Verbrechen gemacht zu haben. Es spricht auch nichts dagegen, Rachels Perspektive noch die von Megan, dem Verbrechensopfer und die von Anna, Rachels Nachfolgerin bei Tom, zur Seite zu stellen. Dass alle drei Ich-Erzählerinnen jedoch sprachlich kaum zu unterscheiden sind, dass man zur Orientierung also auf die Namen als Kapitelüberschriften angewiesen ist, ist allemal eine Schwäche des Textes – erst recht, wenn man zudem immer im Blick behalten muss, dass Rachels und Annas Perspektiven linear fortschreiten, während Megans Perspektive zeitversetzt zu beiden in der Vergangenheit spielt. Da ist sie dann wieder, die Fuselspannung – und dass die Geschichte an sich dieses Zeitebenenkuddelmuddel nicht braucht, bewies mir der Film, denn in dem gibt es dieses Hin und Her nicht und er funktioniert dennoch.
Kurzum, spannend mag das Ganze auf den ersten Blick sein, aber um wirklich gut zu sein, fehlt dem Bestseller von Hawkins Plausibilität bei der an sich über-erklärten Auflösung, Konsequenz in der Erzählstruktur und vor allem sprachliche Genauigkeit.
Martin Suter dagegen hat all das, was bei der zweiten Lektüre sozusagen doppelt deutlich wurde. Das einzige, was mir da noch immer nicht ganz klar ist: warum verhält sich der perfekte Freund am Ende so, wie er es tut? Die Frage bleibt jedoch auch für die Hauptfigur offen, insofern ist das in sich konsequent. Und allemal ein guter Einstieg für hoffentlich fruchtbare Diskussionen im Seminar. Schade nur, dass ich auf diese noch ein paar Monate warten muss.