Schon lange hatte ich vor, mich lesend in Kazuo Ishiguros Welten zu begeben, aber irgendwas kam immer dazwischen. Was gar nicht so schlecht passt zu seinem kleinen, aber feinen Roman An Artist of the Floating World aus dem Jahr 1986. Denn sein Protagonist und Ich-Erzähler, der berühmte Maler Masuji Ono, scheint seinen Ruhestand hauptsächlich mit mäandernden Gedankenströmen zu verbringen, die ihn immer wieder zurück in die Vergangenheit ziehen. Was durchaus heikel werden kann, denn 1948, als das Buch einsetzt, ist der Zweite Weltkrieg samt Kriegsverbrechen noch unheimlich nah.
Vordergründig geht es um die langwierigen Verhandlungen zwecks Verheiratungen seiner jüngeren Tochter Noriko, ein Unterfangen, bei dem die Familien sich gegenseitig zu durchleuchten pflegen. Darunter liegen Fragen nach Schuld und Verantwortung, nach künstlerischem Vermögen und Integrität: wie viel von Onos Ruhm als Maler und seinem Einfluss in der Gesellschaft begründet sich darin, dass er sich patriotisch gab, sich mit seiner Kunst anscheinend mehr und mehr in den Dienst von Nationalismus und Militarismus stellte? Ist er schuldiger, als es in den Jahren des Wiederaufbaus und der nur allzu oberflächlichen Erneuerung aussieht – oder redet er sich seine Schuld im Wesentlichen nur ein, weil er als Maler gar keinen solch großen Einfluss hatte, wie seine Erinnerungen suggerieren?
Subtil wie Spinnwebfäden durchziehen diese Fragen den Roman, aber ausgesprochen wird davon das Wenigste. Ähnlich indirekt, zögernd, ausweichend wie die Gespräche zwischen Vater Ono und seinen erwachsenen Töchtern nähert sich die Erzählung ihrem Thema, das sie gewissermaßen ständig umkreist, aber nie berührt. Zuende gedacht bedeutet das für mein Bild mit den Spinnweben: Ono entkommt der Spinne am Ende, er bleibt nicht kleben an den Fäden der schuldhaften Verstrickung, hängt nicht fest in der Vergangenheit. Doch ob sie ihn tatsächlich loslassen wird, bleibt ungewiss.
Ein wunderschöner Roman, perfekt gebaut, zart und unwiderstehlich erzählt, und das in einer Sprache, die ihresgleichen vergeblich sucht. Ein Buch wie eine gelungene Meditation, schwebend im Hier und Jetzt und dabei so doppelbödig und abgründig, wie die wildesten, dunkelsten Seiten Shakespeares.
Ich kann es kaum erwarten, mich dem nächsten Werk von Ishiguro zu widmen!