Zwischenjahresnotiz V: Ein perfekter Freund

Ob das Buch die perfekte Wahl für mein Uniseminar „Erinnern und Vergessen. Ich und Identität (nicht nur) in der Kriminalliteratur“ ist, werde ich erst im nächsten Semester entdecken. Aber Martin Suters 2002 erschienener Roman um den Journalisten Fabio Rossi, dem nach einer Kopfverletzung 50 Tage fehlen, scheint einerseits eine spannende und doch auch realistische Auseinandersetzung mit dem Thema Amnesie und ist andererseits elegant geschrieben und präzise erzählt, mithin definitiv lesens- und diskutierenswert.

Aus Fabios Sicht erzählt, aber in der dritten Person geschrieben, bietet Ein perfekter Freund gleich mehrere Zugänge zum Thema Identität: nicht nur, was die Bedeutung der Erinnerung dabei angeht, sondern auch, was Veränderung, Umfeld, Kultur und Nationalität betrifft. Denn Fabio lebt in der Schweiz, hält aber an seinem italienischen Pass fest. Beide Kulturen gehören zu ihm, aber seinen Posten bei der Zeitung, etwas, das ihn doch ausmachte, hat er in den verlorenen 50 Tagen, ohne Angabe von Gründen gekündigt. Wie er sich überhaupt sehr drastisch verändert hat in der Zeit, geradezu in sein Gegenteil verwandelt hat. Das hat fast was von einem „doppelten Fabio“ und wirft die Frage auf, gehören die Aspekte an uns, die wir nicht mögen, deswegen weniger zu uns? So bietet der Inhalt des Romans viel Stoff für die Diskussion nicht nur von Erinnern und Vergessen, sondern vor allem von Identität und (Selbst)Identitfikation.

Obendrein bin ich gespannt, wo ich beim zweiten und dritten Lesen womöglich alles auf einen auktorialen Erzähler stoßen werde – denn dass das Ganze rein personal erzählt ist, scheint mir nach der ersten, ganz unsystematischen und unanalytischen Lektüre unwahrscheinlich. Suter spielt auch hier ein ganz und gar gekonntes Spiel mit Nähe und Distanz gerade, was seinen Protagonisten angeht. Ich denke nicht, dass das rein der Amnesiethematik geschuldet ist, das geht tiefer, das gehört für mich auch zum Stil des Autors.

Vielleicht hatte er auch an der Stelle einen Vorteil gegenüber den beiden englischsprachigen Autoren: ich kenne bereits einige seiner Bücher und freue mich nun darauf, bei diesem sozusagen meinen eigenen Perspektivwechsel – von der lesenden Autorin zur analysierenden Literaturdozentin – vorzunehmen. Schöne Aussichten für 2018 🙂

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