Dämonenreste

Nein, das ist keine neue Bezeichnung für den Monsterkater, der für manche vielleicht zum Vatertag gehören mag, Das ist vielmehr eine Frage an mich selbst: Was ist mir gut drei Wochen nach der Premiere der Bühnenfassung von Dostojewskis Dämonen, inszeniert von Hermann Schmidt-Rahmer am Essener Grillo-Theater in Erinnerung geblieben?

Ideologie und Charisma: Stefan Diekmann und Alexey Ekimov (Foto: Martin Kaufhold)

Ein Bühnenbild (Michael Sieberock-Serafimowitsch), schlicht und zugleich größenwahnsinnig, besteht es doch im wesentlichen aus einer Art Parkettschräge, die sich komplett senkrecht stellen lässt, und gigantischen Kronleuchtern: das Bild einer Gesellschaft voller Leere, die in Schräglage gerät und sich dann verbarrikadiert? Oder schlicht eine perfekte Projektionsfläche, auf der sich das Gleichnis der Dämonen, die Christus in Säue fahren lässt, die in ihren Tod im See stürzen samt seiner Verarbeitung in Dostojewskis gewaltigem Roman und Schmidt-Rahmers gelungen-gestrichener Bühnenfassung bestens projezieren lassen? Auf jeden Fall ist das ein beeindruckender Anblick und Raum für eine Inszenierung, in der Video (Stefan Bischoff) tatsächlich gekonnt und überdies zwingend eingesetzt wird: all die Ideen, die Ideologe und Aufrührer Stepan (Stefan Diekmann) Verführer und Nihilist Nikolaj (Alexey Ekimov) einzuflüstern versucht, damit dieser ihm als charismatischer Anführer hilft, die Welt ihrer großbürgerlichen, kulturbegeisterten Eltern zu zerstören, werden so sicht- und greifbar, überwältigend, fast gewalttätig spürbar.

Ein großes Ensemble auf einer großen Bühne, die große Ideen verhandeln und groß scheitern, weil die Gewalt sich Bahn bricht – was wiederum an vielen, sehr vielen Stellen an viel zu viele aktuelle Themen und Brandherde erinnert (etwa der braunen, identitären Art). Die Hilflosigkeit der Gesellschaft und der Kultur im Angesicht von Hass und Gewalt – selten hat mich jemand dem dermaßen unausweichlich ausgesetzt.

SCHAUSPIEL ESSEN:

Kultur als hilfloser Zähmungsversuch: Das Ensemble in der Inszenierung von Hermann Schmidt-Rahmer

Ines Krug als Warwarwa, Nikolais Mutter, die fest an die zivilisierende Wirkung der Kultur glaubt und ihr langjähriger Freund Pjotr, als Literaturliebhaber, der seinen Sohn Stepan als Baby mit der Post verschickte – die Zarten, Weichen, Gebildeten als die Eltern der Monster? Was für ein Gedanke, bestechend, klar und zugleich tragisch.

Doch am stärksten, geradezu unauslöschlich bleibt die Figur der Verrückten, der Kranken, eben Marja im Kopf – weil Gro Swantje Kohlhof sie mit geradezu atemberaubender Konsequenz spielt.

Alexey Ekimov, Gro Swantje Kohlhof, Sven Seeburg – dämonisch gut, sozusagen

Sie muss man einfach gesehen haben.

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