Drei Ganze und ein halbes Etwas

… so ließen sich rückblickend meine beiden letzten Ballettabende zusammenfassen: 3 by Ekman war ein wunderbares Erlebnis im Aalto, ein ebenso erfrischender wie reifer Tanzabend, den ich mir jederzeit wieder anschauen würde, während mich bei Vibrations genau die Königin, also die Kuhn-Orgel, mit ihrem verhallten Klangbrei aus der Philharmonie vertrieb. Was zumindest eine Überraschung war. Aber der Reihe nach …

Wataru Shimizu in „Tuplet“ – Teil des Ballettabends „3 BY EKMAN“ mit Werken von Alexander Ekman (Foto: Bettina Stöß)

Tuplet, das erste der drei Stücke des jungen, talentierten und wohl inzwischen auch arrivierten Choreografen Alexander Ekman ist Rhythmus pur: 6 Tänzer, die beinahe ohne Musik von außen auskommen, denn sobald man einen menschlichen Körper in Bewegung versetzt, ist er doch (auch) eine Rhythmusquelle, ein Percussioninstrument. Kreative Experimentierlust trifft auf tänzerische Perfektion und entwickelt einen mitreißenden Drive, für jeden, der sich darauf einzulassen vermag. Vermutlich hätte Nijinskys, der doch am Ende seines Lebens nach der Befreiung des Tanzes von der Dominanz der Musik strebte, geliebt – denn Mikael Karlssons Klangteppich fällt kaum auf, zu sehr ist man damit beschäftigt, Ekaterina Mamrenko, Marie Van Cauwenbergh, Liam Blair, Yehor Hordiyenko, Take Okuda und Denis Untila mit allen Sinnen zu folgen. Notfalls auch zum Mond, weshalb das ikonische „Fly me to the Moon“ perfekt als musikalische Ergänzung war. 😉

Ensemble in „Tuplet“ (Foto: Bettina Stöß)

Wollte man unbedingt beim Thema Rhythmus bleiben (und das bietet sich beim Thema Tanz ja an), könnte man bei Flockwork darüber nachdenken, in wie vielen verschiedenen Formen dieser zur Synchronisierung von Individuen zu – willigen – Mitgliedern eines größeren Schwarms, gar einer Gesellschaft taugen könnte: Marschmusik und Gleichschritt sind das eine, aber was ist mit Ritualen oder auch Traditionen, Spielen oder schlicht dem Gleichklang Liebender und anderer Paare? Dazugehören, mitmachen, sich mitreißen oder auch hinreißen lassen – aber wo hört der Spaß auf und fängt das Mitläufertum an? Ein elegantes Tanzstück, abstrakt und doch ganz konkret. das zum Nachdenken anregt. Ungewöhnlich und schön, denn es ist doch auch mal nett, wenn man als Ballettzuschauer nicht nur mit den Sinnen dabei ist und Ästhetisches erlebt, sondern den Verstand gebrauchen darf.

Yuki Kishimoto in „Flockwork“ (Foto: Bettina Stöß)

Der stört auch bei der Betrachtung von Tyll keineswegs, in dem es ums große Ganze des Balletts geht: ein richtig großes Werk mit großer Besetzung (wann hat man in zeitgenössichen Balletten schon mal ca. 30 Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne?), in dem auf die eine oder andere gekonnte, mal zugespitzte, mal gebrochene, beinahe ironische Art Klassiker des klassischen Balletts zumindest angedeutet werden. Schwanensee, Nussknacker, Coppelia, Giselle, etc. – dazu ganz viel Tüll (so das deutsche Wort für Tyll) in Form von Tutus und natürlich Spitzenschuhe und Spitzentanz, all das gibt es hier zu bewundern. Ein Stück Geschichte des Balletts an sich, teils der Versuch einer Antwort auf die Frage, wozu es diese so besondere, so ganz und gar eigene Kunstform braucht und ganz und gar eine wunderbare Liebeserklärung an sie – so habe ich diesen letzten Teil dieses Ballettabends erlebt.

Ensemble in „Tyll“ (Foto: Bettina Stöß) von Alexander Ekman

Dann, vierzehn Tage später, kam für mich Roland Maria Stangier – die Königin lädt ein: Vibrations, so der sperrige Titel des Versuchst, Orgelmusik und moderne Choreographien in der Philharmonie anzuschauen und anzuhören.

Ich war sehr gespannt, weil ich schon einiges Gutes über die Kuhn-Orgel gehört hatte, mir zugleich aber deren Klang in einem Konzertsaal nicht so recht vorstellen konnte. Nun kann ich es, und weiß obendrein, warum normalerweise Orgelmusik keine große Rolle für den Tanz spielt: Tanz braucht Rhythmus (da haben wir es wieder!), Orgelwerke dagegen beruhen weitgehend auf so etwas wie Klangteppichen, eben dem Stehenlassen einzelner Töne, die sich in Zeit und Raum dann erst zu einem Ganzen vereinigen. Wenn das denn gut geht – für meine Ohren (und die meiner Begleiterin) gelang das an diesem Abend viel zu oft nicht. Viel zu lange standen die Töne im Raum, so dass aus deren unbeabsichtiger Begegnung immer wieder Misstöne, teils richtig unangenehme Dissonanzen entstanden. Was in der 17. Reihe nicht gut zu ertragen war, mag auf der Bühne für die Akteure so gar nicht zu hören gewesen sein. Vermeidbar wäre es dennoch gewesen, etwa, indem man den Hall verkürzt hätte, wie meine Begleiterin mir kundig erklärte.

Hinzu kam, dass ich Armen Hakobyan als Tänzer wirklich sehr schätze, mich jedoch bei seinen Choregografien immer wieder an deren Manierismus und dem, was ich einen Hang zum Posen nennen möchte, störe. Das stößt mich trotz aller guten Ideen – wie etwa dem Halbrund der schwarzen Türen, das Innen- und Außenraum erfahrbar machte – letztlich ab und hält mich auf Abstand, verhindert, dass für mich ein Ganzes, ein Fluss, gar ein Sinnzusammenhang entstehen kann.

Doch dass wir an diesem Abend nach der Pause nicht wieder hineingehen mochten, lag sicher nicht allein an ihm – es war ein schöner Abend, ein lauer Abend, und wenngleich ich Denis Untilas Choreografie sehr gerne gesehen hätte, dem unangenehmen Orgelklang in diesem für meine Ohren ungeeigneten Setting mochte ich mich kein zweites Mal aussetzen. Da war die Aussicht auf einen Spaziergang im Stadtpark doch weitaus verlockender. 🙂

Und nun hoffe ich auf Gelegenheiten, meinen Lust an der Orgelmusik in Kirchenräumen wieder aufleben zu lassen (immerhin bin ich halb in einem Pfarrhaushalt mitaufgewachsen, wo der große Bruder meiner besten Freundin immer wieder als Organist fungierte), mehr von Ekmans Arbeiten zu sehen und bei Ptah IV dann hoffentlich möglichst viele der Aalto-Tänzer und jungen Choreografen in Bestform wiederzuerleben. 🙂

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