Jenseits der Worte

… das gehört zu den Aspekten, die ich am Tanz schätze: dass es eine Kunst jenseits unserer Alltagssprachen ist, und doch zugleich so tief verbunden mit unserem Innenleben, unseren Seelen, Herzen ist. Abstraktion und Poesie, diese beiden Seiten kommen auch und gerade in Jirí Kyliáns vierteiligem Tanzabend Archipel, der zu Monatsbeginn im Aalto wiederaufgenommen wurde, zusammen zum Tragen.

Ana Carolina Reis, Tomaš Ottych, Yulia Tsoi in "Wings of Wax" (Foto: Bettina Stoess)

Ana Carolina Reis, Tomaš Ottych, Yulia Tsoi in „Wings of Wax“ (Foto: Bettina Stoess)

Wings of Wax besticht durch die Sparsamkeit der Mittel – ein Baum hängt kopfüber von der Decke und wird von einem Scheinwefer umgekreist. In diesen Kreis treten die Tänzer und Tänzerinnen aus dem Dunkel. Schwarz und weiß, Licht und Dunkel, der Kreis und das Viereck – wenige Grundzutaten, aus denen die Kunst der Tänzer und das Konzept des Choreografen eine Welt für sich machen. Glücklicherweise ohne Ikarus‘ Absturz.

Mariya Tyurina, Denis Untila in "27'52''" (Foto: Bettina Stoess)

Mariya Tyurina, Denis Untila in „27’52““ (Foto: Bettina Stoess)

Der Übergang zu 27’52 ist überraschend, sieht es doch zuerst nach einem Fehler aus, wenn der Vorhang nicht ganz fällt, sondern die Zuschauer der Technik beim Umbau zuschauen können. Nach und nach entstehen Gespräche im Zuschauerraum und schließlich gibt es sogar Applaus – denn das, was die Techniker tun, neuen Tanzboden verlegen, Sofitten tauschen, etc. ist letztlich ja auch choreografiert.

Und es passt perfekt dazu, dass Tänzer in 27’52 mit eben jenen Bühnenelementen arbeiten – mal dienen die Sofitten als Versteck, mal kriecht wer unter den Tanzboden, dann werden Wellen mit dessen Bahnen geschlagen und schließlich sogar Tänzer auf diesen von anderen Tänzern von der Bühne gezogen.

Das Schönste an diesem Stück: indem die Technik sichtbarer Spielpartner wird, erhält sie neuen Zauber – wer hätte das gedacht? 🙂

Mariya Tyurina, Wataru Shimizu (verdeckt), Denis Untila in "27'52''" (Foto: Bettina Sotess)

Mariya Tyurina, Wataru Shimizu (verdeckt), Denis Untila in „27’52““ (Foto: Bettina Sotess)

 

Petite Mort beginnt mit Herren, die mit Florett tanzen, und Damen, die schwarze Reifrockkostüme der rollende Art als Tanzpartner haben. Was hier noch beinahe klassisch und mit großem Ernst daher kommt, wird nach dem Filmeinspieler – ein Barockpaar tanzt wild auf und ums Bett an einem Ort herum, der an Versaille denken lässt – ins Komische gewendet. Die Herren schnappen sich die rollenden Reifröcke und führen artige Eitelkeiten als running Gag auf. Das Leben und die Liebe als wilde Jagd, als Lust an Verkleidung und Spiel, so wirken Sechs Tänze, bevor sich alles wunderbar poetisch mit dem Ensemble im Seifenblasenregen endet.

Ensemble in "Sechs Tänze" (Foto: Bettina Stoess)

Ensemble in „Sechs Tänze“ (Foto: Bettina Stoess)

 

Die Tänzer des Aaltos scheinen befreit und bei sich wie lang nicht mehr – was schon allein ein Grund wäre, dieses Stück wieder und wieder zu sehen …

Das ist ohnehin das Sinnvollste, was sich hierzu sagen lässt: Schauen Sie es sich selbst an. Mit Worten lässt sich bestenfalls als die Oberfläche dieses berührenden Ballettabends abtasten, …

 

 

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