Meisterwerk?

Eine ganz eigene Stimme, dazu eine Erzählweise, die so schnoddrig wie präzise ist, das sind zwei Aspekte, die Nell Zinks The Wallcreeper zu etwas Besonderem machen. Ob es deshalb sogleich ein Meisterwerk ist, wie es etwa in der Sunday Times zu dem Buch zu lesen war, ist für mich eine offene Frage.

My preoccupation with my internal monologue – the sort of thing it is always better to write down than to indulge in at dinner – had blinded me to competing subtexts.

(Nell Zink, The Wallcreeper, p. 108)

Das ist für mich ein typisches Beispiel für die besondere Stimme, die Nell Zink ihrer Ich-Erzählerin leiht – einer jungen Amerikanerin in Europa, einer verheirateten Frau, die ganz genau das sein will, und doch immer wieder fremdgeht, einer Müßiggängerin (endlich ein Vorwand, das Wort zu benutzen! ;-)), die letztendlich zur Aktivistin wird – und die vor allem eines ist: eine unbestechliche Beobachterin ihrer Selbst und ihrer Zeitgenossen mit einem ausgepägten Sinn für Humor.

I stood next to the driver’s side window, raised my fist to knock, and thought better of it. I looked around. A nearby house lowered its blinds. Presumably Breitenhagen had not witnessed a public scene on this order in a while, not since its last unhappy wife raised her voice in mild complaint in 1805. It was that kind of idyllic place.

(N.Z., The Wallcreeper, p. 111)

Wie könnte ich anders, als diese gekonnte Mischung aus Ironie und Präzision zu lieben und mehr von dieser Ich-Erzählerin hören wie von Nell Zink lesen wollen? Dennoch: macht dies das Buch zu einem Meisterwerk – zumal diese Bezeichnung für ein Debüt in sich ein Widerspruch zu sein scheint?

Ich bin hin und hergerissen. Dies mag Nell Zinks Erstling sein, aber sie selbst ist kein Frischling mehr, und abgesehen vom schnöden Geldverdienen gibt es wenig, wo ihre junge Ich-Erzählerin als Anfängerin, gar naiv anzusehen wäre. Vielmehr hat sie etwas von einer modernen Schwester von Tom Jones  – und Zink ist die erste moderne Autorin, die mich dahin bringt, dessen Geschichte mal wieder lesen zu wollen.

Ein kluges, witziges, spannendes Buch, lakonisch erzählt, voller wilder Sprünge, die aber stets mit Punktlandungen enden – ein Buch, an dem es nichts zu bemängeln, zu bekritteln gibt, dem es offenbar gelingt, seine sich selbst gesteckten Ziele zu erreichen, seinen eigens geschaffenen Rahmen perfekt zu füllen.

Hm. So gesehen stimmt es dann wohl doch: es ist ein Meisterwerk, und dass das in gewisser Hinsicht paradox ist, passt.

Jetzt muss ich nur noch schleunigst alles weitere, was Nell Zink inzwischen geschrieben und veröffentlicht haben mag, auftreiben … 🙂

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