Irmgard Keuns Kunstseidenes Mädchen will ein Glanz werden, bei ihrem Mädchen, mit dem die anderen Kinder nicht verkehren dürfen wird die Mutter ein Schimmer, wenn sie ihre Tochter verteidigt – wie passend, dass Charis Nass in Katja Lillih Leinenwebers Inszenierung des gleichnamigen Stücks in ihrer ungemeinen Spielfreude so wunderbar leuchtet und glänzt!
Ich bin ganz begeistert und zugleich verwundert: Zumeist kommt in meinen Augen wenig Brauchbares heraus, wenn Romane für die Bühne adaptiert werden. Und Monologe auf selbiger sind nur allzu oft genau das – das Gerede einer einsamen Figur im leeren Theaterraum, kein Drama, kein Spiel, nichts von Bedeutung. Ganz anders jedoch hier.
Katja Lillih Leinenweber und Charis Nass müssen bereits bei der Dramatisierung von Irmgard Keuns Roman ein gutes Gespür gehabt haben, wo man der wunderbaren, teils altmodischen, teils aber so eigenen Sprache Keuns folgen muss, und wo es besser ist, zusammenzuziehen, beherzt zu streichen und darüber jede Menge Schwung in die Sache zu bringen. Chapeau – ich hätte mich gewiss im Prosadickicht verirrt!
Doch aus einem Roman ein Stück zu schaffen ist das Eine, dies dann gekonnt auf die Bühne zu bringen, eine andere Aufgabe – erst recht, wenn das Publikum, an das man sich richtet, zwischen acht und achtzig Jahren alt sein dürfte. Charis Nass spielt das Mädchen, das eigentlich einfach Kind sein will unter den widrigen Bedingungen im Deutschland des ersten Weltkriegs so, als habe sie nie vergessen, wie es ist, wenn man Kind ist. Wenn man noch nicht alles weiß, dafür manches um so mehr glaubt – und seien es die Ideale von Ritterlichkeit und Tapferkeit. Wenn ein Putzwedel ein Spielgefährte und ein Stock ein Gewehr sein kann. Und wenn die Erwachsenen nur mit halbem Ohr hören, was man ihnen zu erklären sucht, und sich überwiegend nur dann in die Kindersachen einmischen, wenn dadurch alles schlimmer wird.
Das Mädchen mag mit krummen Rücken laufen, weil man doch nur so die Schätze am Boden findet, ihre Seele braucht ganz sicher keinen Geradehalter: Man könnte sie glatt wahrhaftig nennen, einen perfekten Spiegel, der der Welt der Erwachsenen zeigt, was schief läuft in ihrem konventionellen Denken, ihrem Gehorsam und dem ganzen Krieg dazu. Bloß halt dass die Erwachsenen in ihrem Leben, die Eltern und Nachbarn, die Lehrerin und erst recht der Kaiser, das lieber nicht sehen möchten.
Als Zuschauer dagegen kann man sich gar nicht satt sehen, wie Charis Nass die ganze rasende wilde Horde aufleben lässt, sich in den Kampf gegen das Traudchen stürzt, Feuerwehrübungen abhält, und immer wieder ungerechterweise einen auf den Deckel bekommt und schließlich die anderen Kinder nicht mehr mit ihr verkehren dürfen. Weil sie nicht artig ist. Weil die Erwachsenen sie nicht verstehen. Und dann wie sie kämpft – um Anpassung (vergebens, welch Glück) und Anerkennung, um die Rettung von kleinen Kindern und Schnecken und den Frieden.
Wie eigenartig – einerseits ist das Stück ganz seiner Zeit, der Kaiserzeit bzw. deren Ende verhaftet, andererseits ist es so aktuell, dass man aufschreien möchte. Oder sich wenigstens doch wünscht, möglichst viele Kinder wie Erwachsene könnten dieses Stück sehen und begreifen. Denn Krieg ist heute kein Stück besser als damals, aber solange es Kinder und andere Menschen mit geraden Seelen und diesem Leuchten, diesem Glanz, diesem Schimmer gibt, ist die Hoffnung noch nicht ganz verloren.