Punktgenau

Sich in einem dicken Schmöker zu verlieren, gehört für viele Menschen zur Urlaubszeit wie Strand und Meer oder Berg und Wanderung. Doch Größe – oder eben Dicke – ist auch bei Büchern kein geeignetes Maß, wenn es um Qualität geht. Lesegenuss, der lange nachhallt, fand ich in Lydia Davis kurzen bis ultrakurzen Stories in Break It Down.      

Gewiss, manche geschiedene Frau mit eigenartigen Ängsten und/oder Verhaltensmuster ließ mich ganz unwillkürlich an Davis‘ Roman The End of the Story denken. Aber, warum auch nicht? Menschen haben wiederkehrende (Lebens)Themen, das gilt für Schriftsteller wie für jeden anderen.Noch dazu ist die kurze Form bestens geeignet, Ideen zu skizzieren, Neues zu testen und Variationen durchzuspielen.

Doch Davis veröffentlicht ganz sicher nichts Halbgares, Unfertiges. Ob wenige Zeilen kurz oder mehrere Seiten lang, ihre Prosastücke sind durchgearbeitet, geschliffen, auf den Punkt gebracht. Dabei ist nichts einfach oder simpel, vielmehr hat es den Anschein, als eröffne die Sparsamkeit, die Ökonomie der Erzählungen um so mehr Raum zwischen den Zeilen.

Etwa die Titelgeschichte – kurz mag sie sein, dennoch vermag sie das mäandernde Denken eines Nichtmehrliebenden nachzuzeichnen, bei dem man nicht sagen kann, kreist er um sich oder um den Verlust? Versucht er zu verstehen, was geschehen ist, oder rechnet er krämerseelenhaft auf, was gut war, was schlecht, um am Ende sagen zu können, ob sich die emotionale Investition gelohnt hat?

Mindestens ebenso fasziniernd erscheint mir Davis‘ Fähigkeit, kleine und kleinste Dinge zu beobachten und zu beschreiben: Etwa die Maus in The Mouse, die sich als Verweis auf die Häuser als Lebensstationen einer Frau erweist und auf verlorene Träume und deb ungewissen Zustand ihrer Ehe verweist.

Vielen Geschichten wohnt eine eigene Absurdität inne: Z.B. das eigenartige Prokrastinieren und Tagträumen in Mr. Burdoff’s Visit to Germany , mit dem er sich vom Erlernen der Sprache abhält oder der seltsame Wunschtraum von der Freiheit des Alters in What an Old Woman Will Wear.

Für mich die vielleicht beeindruckendste Geschichte ist French Lesson I – aber das mag daran liegen, dass ich nun mal selbst auch Übersetzerin bin, doch noch nie eine literarische Geschichte über Sprache und Fremdsprache, eben die Art, wie verschiedene Sprachen auf ihre jeweils eigene Art die Welt und das Denken organisieren, gelesen habe.

Und das ist dann noch ein weiterer Vorteil an einer so exzellenten und vielfältigen Sammlung von Kurzgeschichten: dass für jeden und jede Gelegenheit etwas dabei sein dürfte 🙂

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