Poetische Prosa

Dass Eva Figes eine Erzählerin der ganz besonderen Art war, ist mir seit der Lektüre ihres höchst ungewöhnlichen Romans Nelly’s Version klar. Dort ist es der Kontrast zwischen der Präzision, mit der die gedächtnislose Ich-Erzählerin soziale Konventionen aufs Korn nimmt, und der surrealen, kafkaesken Ausweglsoigkeit ihrer Situation, die so kunstvoll erscheint. In den beiden Novellen Waking und Light dagegen besticht besonders die poetische Qualität von Figes‘ Sprache.

An Waking hat mich vor allem die Grundidee gefangen genommen: Sieben Mal, in ebenso vielen Kapiteln, wird aus dem erwachenden Bewusstsein eines Menschen erzählt – und zwar jedes Mal lediglich vom Moment des Aufwachens bis zum Augenblick vorm Aufstehen. Anfangs ist es ein Kind, dann ein Teenager, schließlich wird sie eine junge Frau, ist schwanger, ist Mutter und schließlich wird sie alt, gebrechlich und stirbt.

Während Figes‘ Momentaufnahmen aus dem noch halbschlafenden Bewusstsein oftmals so poetisch wie plastisch gezeichnet sind, bleibt die Figur und erst recht deren Geschichte eigentümlich blass. Ja, man mag sich am Ende fragen, ist es überhaupt sieben Mal dieselbe Person, denn wirklich eindeutige Verweise darauf habe ich nicht gefunden. Selbst das könnte reizvoll sein: Ein Text, der sich sowohl als Schlaglichter aus einem fortschreitenden Lebensweg wie als (möglicherweise sogar synchrone) Einblicke in sieben verschiedene Frauenleben lesen lässt, das hätte etwas.

Leider geht das für mich in Waking nicht ganz auf. Es bleibt beim Experiment, das sich dann jedoch für mich in sich selbst ein Stück weit erschöpft. Dass ich es trotzdem gerne las, ist Figes‘ sprachlichen Qualitäten geschuldet.

Wie anders erging es mir mit Light – das einen Tag im Leben Claude Monets so eindrücklich, wundersam und wunderschön aus Sicht seines gesamten Haushaltes als Collage erzählt, dass man am Ende glaubt, man könnte die Welt nun sehen, wie er sie sah! Allein, dass jemand Visuelles und noch dazu das flüchtige Phänomen des stetig wechselnden (Tages)Lichtes so in Worte fassen kann, ist verblüffend. Und macht klar, worauf die Kritiker hinaus wollen, die Figes bescheinigen, sie sei so etwas wie eine literarische Tochter Virginia Woolfs.

Schade, dass ihre Bücher weitgehend vergriffen sind. Und erst recht, dass nichts von ihr ins Deutsche übersetzt wurde. Wobei … das wäre eine Herausforderung, der ich mich nur allzu gerne stellen würden. Was für ein Traum …

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