Projektionsflächen

Natürlich kann man Homers zweites Epos – die Odyssee – auf die Bühne bringen. Warum auch nicht, kaum ein Werk ist im Lauf der Jahrhunderte von so vielen Künstlern in so vielen verschiedenen Medien bearbeitet worden wie dieses. Und, ja, man kann die lange Irrfahrt, die den Heimweg des Königs Odysseus nach Ithaka schildert, sicherlich auch in Beziehung zu den Geschichten von Sinti und Roma setzen, die nach wie vor in Europa zugleich zuhause und heimatlos sind und obendrein diskriminiert, oft auch verfolgt werden. Volker Lösch hat sich an dieser Kombination im Essener Grillo-Theater versucht, und nach der gestrigen Premiere dieser Odyssee stellt sich nun die Frage, ist’s gelungen? SCHAUSPIEL ESSEN: "Die Odyssee oder 'Lustig ist das Zigeunerlebe Trankopfer für die Toten: Melanie Joschla Weiß, Slaviša Markoviæ, Faton Mistele, Ines Krug, Nebojša Markoviæ, Sandra Selimoviæ, Simonida Selimoviæ  (v.l.nr. – Foto: Thilo Beu)

Doch der Reihe nach. Beginnen wir mit Löschs Grundzutaten: Die Bühne (Carola Reuther) ist zweigeteilt und überwiegend weiß. Auf der Vorbühne eine Tafel (s.o.), die zumeist Odysseus und seinen Gefährten als Schiff und Basis dient. Dahinter ein aufgeschnittenes, auf seine Grundform reduziertes, weißes Haus, das die Stationen der Reise darstellt: Von den Kikonen über die Höhle des Zyklopen, von Kirkes Reich zu Kalypsos Insel bis hin zum heimatlichen Palast auf Ithaka, fast alles wird hier verortet. Nur das Totenreich wird nach vorn an die Tafel geholt …

Ebenfalls zweigeteilt agiert das zwölfköpfige Ensemble: Dem Team Odysseus gehören Axel Holst, Jan Jaroszak, Ines Krug, Thomas Meczele, Stephanie Schönfeld und David Simon, allesamt feste Schauspieler oder bewährte Gäste am Essener Grillo-Theater, und überdies Gadsche, also Weiße oder auch schlicht Deutsche (wenn man auf solchen Zuordnungen bestehen möchte), was durch die weiße Kleidung und die blonden Perücken unterstrichen wird. Ihnen gegenübergestellt sind sechs Roma Schauspieler – Melanie Joschla Weiß, Slaviša Markoviæ, Faton Mistele, Nebojša Markoviæ, Sandra Selimoviæ, Simonida Selimoviæ – die mit zahllosen Kostümwechseln eben jene ‚wilden‘ Völker und mythischen Wesen darstellen, denen das Team Odysseus begegnet und die es mit List oder Gewalt überwindet. Dabei unterstreicht ihre Kostümierung häufig die Vorurteile, die vermutlich noch immer viel zu viele gegenüber Sinti und Roma hegen – man erkennt sogleich: Lösch geht es um Zuspitzung.

Nun ist es das eine, die Odyssee als „Zivilisierungsprozess“ zu schildern, bei der die „zivilisierten Europäer“ die „Zigeuner“ fast in gleichem Maße bewundern wie verachten, indem sie ihre Vorurteile, Ängste und Sehnsüchte auf sie projezieren. Das kann man machen, muss man aber nicht (vor allem, weil es meiner Ansicht nach die potenzielle Vieldeutigkeit der Odyssee doch arg vereinfacht). Lösch, der hier alles verdoppelt (oder zweiteilt, je nach Betrachtungsweise), stellt Homers Epos authentische Geschichten von Sinti und Roma zur Seite. Erzählungen von Diskriminierung und Unterdrückung sowohl von außen als auch von innen, aus der Community (blödes Wort, klingt viel mehr nach Facebook & Co und so gar nicht nach echtem Leben und echten Verletzungen, aber das mag wiederum mein Vorurteil spiegeln) werden mit Homer verwoben, der Odyssee entgegengesetzt, dem Publikum entgegengeschleudert oder gleich zwischen den Reihen erzählt.

Erzählen – das ist auch so ein Stichwort in diesem Zusammenhang und für mich ein symptomatisches. Selbst als Chorwerk wird aus einem Epos, einer Erzählung, kein dramatisches Bühnenwerk. Schon gar nicht, wenn die Chorpartien teils unsauber einstudiert scheinen, und obendrein so manche Solopartie in eine akustisch unverständliche Schreierei ausartet.

Das ist insbesondere deshalb sehr schade, weil zwischendrin durchaus magische Momente entstehen. Besonders den Frauen gelingt es immer wieder, mich zu berühren, mich aufmerken zu lassen: Ist der Machismo, sind die patriarchalen Strukturen bei den Sinti und Roma tatsächlich so heftig – beziehungsweise, nicht dass ich das bezweifle, aber wie sieht das eigentlich allgemein am Theater aus? Wieso sind da fünf Frauen und sieben Männer auf der Bühne, wenn doch alles andere halbiert/gedoppelt erscheint?

Letztendlich hätte ich gerne mehr erfahren aus dem Leben der Sinti und Roma, über ihre Kultur, ihr Selbstverständnis. Dafür hätte ich jedoch nicht das aufwendige Drumherum mit Videoprojektionen und antiken Chören gebraucht. Eigentlich lenkt all das Brimborium doch nur davon ab, worum es hätte gehen können: der Blick hinter die Fassaden und die Kulissen, und der Blick aufs eigene Anderssein durch die Augen des (vermeintlich) Anderen.

So – blieb es ein Abend, der sich im Hin und Her der Projektionen verlor und von dem am Abend danach leider nur allzu wenig im Gedächtnis haften geblieben ist außer dem Wunsch, Romano Svato, der Theaterverein der Schwestern Selimoviæ, möge bitte mal einen Abstecher nach Essen einplanen.

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