Der Chipstüteneffekt

Wer kennt es nicht: Hat man die Chipstüte einmal aufgerissen und losgelegt, kann man erst wieder aufhören, wenn die letzten Krümmel von den Fingerkuppen geleckt sind. So ähnlich erging es mir auch bei der Lektüre von Ria Klugs Kriminalroman Kleine Betriebsstörung.

Vielleicht hätte ich es ganz zu Anfang noch aus der Hand legen können, aber nachdem ich einmal beschlossen hatte, über den Präsens hinwegzusehen, weil ich Nel Arta, der Ich-Erzählerin auf dem Weg zur Geschlechtsumwandlung nun mal in die dubiose Klinik nach Brasilien und dann quer durch Sao Paulo nebst Favelas folgen wollte, konnte ich nicht mehr aufhören. Viel zu reizvoll ist diese fremd-vertraute Figur und viel zu spannend erzählt Ria Klug von ihrem Weg durchs exotisch-brutale Brasilien. Wobei es aus Trans-Sicht vermutlich an wenigen Orten der Welt uneingeschränkt schön ist, da sind die bornierten bis bösartigen, die unwissenden bis herablassenden Zeitgenossen vor – wie etwa das nervige deutsche Ehepaar auf dem Flug, die drauf bestehen, sie als Mann anzusprechen und jede, aber auch wirklich jede Grenze in der Unausweichlichkeit des Langstreckenfliegers niedertrampeln müssen.

Da ist es dann völlig belanglos, dass der Präsens in meinen Augen für die Erzählung nichts bringt (und diese es auch gar nicht nötig hat, irgendwie künstlich ‚präsenter‘ oder ‚zwingender‘ gemacht zu werden, Nel Arta hat Präsenz und ihre Geschichte ist zwingend) oder dass der Roman kein Sprachkunstwerk sein will (muss er ja auch nicht. Er ist gut, so wie er ist). Die Geschichte hat es in sich, und sozusagen im Geist einer Transgenderfrau mitzureisen, das ist eine besondere Erfahrung. Selbst für sowas seltsames wie mich, die ich nun diesem Roman ganz viele LeserInnen gleich welchen Geschlechts wünsche. 🙂

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