Das klingt vielleicht nach einer banalen Frage, die man mit „Geschichten erfinden“ oder „schreiben“ beantworten könnte. Wobei diese beiden Tätigkeiten, wenn man genauer hinschaut, erstens komplexer sind, als man denken möchte (ich sach nur „Schreibblockade“ …) und zweitens viel weniger erklärend sind, als es den Anschein hat. Das scheint auch einer meiner Studenten so zu sehen, denn er moniert immer wieder, dass Autoren nichts anderes tun, als eigene Erfahrungen in Geschichten umzuwandeln.
Das stimmt und stimmt nicht – oder vielmehr, es ist nicht falsch, trifft die Sache aber in meinen Augen nicht. Zu schreiben, ohne dabei auf eigene Erfahrungen und seien es solche, die man im Verlauf einer Recherche macht, zurückzugreifen, dürfte sehr schwer bis unmöglich sein. Ich schreibe, also schreibe ich – soll heißen: Wie könnten wir Autoren uns selbst komplett außen vor lassen? Wie soll das gehen und wo soll das hinführen? Menschen sind nun mal so – was immer wir tun, wird von unserer Perspektive und damit unserer bisherigen Geschichte mitbestimmt. Das gilt gewiss nicht nur für Künstler & Kreative, auch Wissenschaftler, Ingenieure, Richter, Bäcker, Freunde, Mütter, Väter, und alle anderen bringen sich in ihr Tun mit ein.
Ich glaube nicht, dass ich als Autorin eine komplett neue Welt, voraussetzungslos, ohne irgendeine Beziehung zu mir schaffen kann. Vielleicht könnte ein Schöpfergott so – also „aus dem Nichts“ – etwas erschaffen, ich kann’s nicht. Ganz gleich, was ich erfinde, wie weit ich mich erzählend von mir selbst zu entfernen suche, am Ende entstehen doch auch immer wieder Spiegelscherben mit, in denen das Literarische das Persönliche spiegelt.
Aber: Das ist nicht wichtig oder zumindest für niemanden außer mir selbst von Belang (man kann als Autor gerade beim Wiederlesen alter eigener Texte einiges über sich selbst erfahren … ). Wenn ich das Werk eines fremden Autoren lese, spielt es keine Rolle, welche biographischen Versatzstücke darin auftauchen oder wie nah Figur Y oder Erzähler X an seinem Schöpfer gestaltet ist. Entweder erschließt sich mir der Text oder nicht. Und wenn er sich erschließt, dann betrete ich als Lesende ein fremdes Land, in das ich wiederum ein vertrautes Element mit hinein bringe: mich selbst. Durch die Augen des anderen (des Autors) lesend, bin ich selbst doch auch Teil des Prozesses. Deshalb ist jedes (belletristische) Buch für jeden Leser ein anderes – man könnte auch sagen, es gibt von einem Buch soviele Varianten wie Leser …
Und genau deshalb spielt es meiner Ansicht nach keine Rolle, wie nah oder fern das Ganze seinem jeweiligen Schöpfer steht bzw. wie sehr ich das wissen kann (so ergiebig ist der Klappentext ja da auch meist nicht ;-)). Wichtig ist, was zwischen mir und dem Buch passiert.
Auch als Autor, erst recht beim Schreiben. Denn das ist eines der Dinge, die wir Autoren machen: Wir bringen unsere Erfahrungen und unsere Fantasie zusammen, spinnen mithilfe der Sprache ein Netz und erschaffen Geschichten, die, wenn alles gut geht, für jeden Leser eine etwas andere Tür in eine etwas andere Welt öffnen.
Jetzt muss ich nur noch in der letzten Seminarsitzung herausfinden, warum sich mein Student daran zu stören scheint, dass der Autor samt seiner Person und Geschichte Teil des Schreib- und Erfindungsprozesses ist — und was er sich eigentlich, statt dessen erhofft.