Identität und die Spiele damit sind etwas, das mich nicht nur, aber zur Zeit ganz besonders in der Literatur reizt, da ich in den kommenden zwei Semestern an der UDE zwei Seminare zu unterschiedlichen Aspekten des Themas anbieten möchte. Also griff ich zu, als ich im Buchladen um die Ecke stand, um Anne Chaplets Schrei nach Stille abzuholen, das ich für das erste dieser Seminare benötige, und dort Raúl Argemís Chamäleon Cacho liegen sah: Glücksgriff oder Fehlgriff?
Ein dünnes Buch, gerade Mal 150 Seiten umfassend – was nichts schlechtes sein muss. Besser, jemand weiß auf den Punkt zu kommen, anstatt endlos Seiten zu schinden. Und wenngleich ich ein, zwei Kapitel brauchte, um mich in den Erzählstil Argemís einzufinden, las es sich über weite Strecken doch recht gut:
Der Ich-Erzähler, ein Journalist, erwacht in einem argentinischen Provinzkrankenhaus, ohne so ganz genau zu wissen, wie er dorthin gekommen ist. Dies wie auch die Tatsache, dass er (zunächst) bewegungsunfähig ist, kümmert ihn jedoch nur am Rande, denn er wittert in seinem Bettnachbarn – dem ‚Chamäleon‘, der sich im Delirium in den Geschichten verschiedener Identitäten veliert – die Story seines Lebens. Dann jedoch kommt es, wie es kommen muss in einem Buch, dessen Klappentext das „doppelte Spiel“ lobt, das der Autor mit seinen Lesern spiele: am Ende stellt sich heraus, der Erzähler ist selbst das Chamäleon (ein fieser Kollaborateur der früheren argentinischen Junta) und hatte sich lediglich seinem üblichen Muster folgend die Identität seines letzten Opfers, eines Journalisten soweit angeeignet, bis er selbst daran glaubte.
Aha. Schade. Für das platte Ende sind sogar 150 Seiten zu viel, wie ich finde. So wichtig man möglicherweise das Erzählen über das unaussprechliche Grauen eines korrupten wie brutalen Regimes finden mag, das reicht für meine literarische Ansprüche bei weitem nicht aus. Erzählkunst und erst recht ein gelungenes „doppeltes Spiel“ ist etwas anderes. Das hätte Argemí leicht etwa bei Sébastien Japrisot und seinem Falle für Aschenbrödel lernen können …
P.S.: Ja, ich weiß, das Buch hat Preise gewonnen und scheint nicht wenigen Menschen ein Meisterwerk zu sein. Und obwohl ich all diese Dinge, die doch hätten Erwartungen wecken können, wecken müssen, nicht vor dem Lesen wusste (wenn es geht, versuche ich meiner Lektüre ‚jungfräulich‘ zu begegnen und das funktioniert um so besser, je weniger ich vorher weiß), wurde ich enttäuscht.