… wer ist der Ätzendste im Land? Das könnte ein Leitfrage für Eric Bogosians Pounding Nails in the Floor with my Forehead sein. Vielleicht ist es auch ein Leidfrage, das weiß man bei bissiger Komödie der übersetzten Art ja nicht immer auf Anhieb. Tom Gerber in der Inszenierung von Donald Berkenhoff ist auf der Minibühne der Box jedenfalls in nahezu all sein Rollen, die aus den Rollen fallen, ziemlich sehenswert.
Zugleich ist es halt so eine Sache mit Stücken oder Büchern oder andern Kunst- und Handwerken, die aufs Wiedererkennen setzen – manches geht auf, anderes nicht, manches trifft den Nerv, anderes geht nur auf die Nerven.
Ich mochte z.B. den 1966er Anfang des Ganzen – aber ich bin ja auch Baujahr 1966 und aus verschiedenen Gründen derzeit mal wieder mit Nachdenken über Familien- und andere Geschichtsfragen befasst. Keine Ahnung, wie das für Menschen andere Baujahrs aussieht. Oder dieser durchgeknallte Dealertyp, für den Tom Gerber sich ein "unschuldiges, stummes Gegenüber" auf die Bühne holte – da dachte ich, hey, ich kenn zwar weder Schauspieler noch Regisseur, aber einer von beiden muss einen gewissen Menschen gleichen ‚Berufs‘ gekannt haben wie ich. Aber, wer weiß, andere Zuschauer hat das vielleicht nur genervt und nichts machte Klick.
Mir ging’s so mit den reichen Typen, den Maklerfritzen, den Sicherheitsfreaks. Klar weiß ich, solche Menschen gibt’s, aber im allgemeinen interessieren sie mich absolut nicht. Gerber schleift sie gewissermaßen an den Haaren auf die Bühne und macht das sicher gut, bloß wozu das alles? Was genau erzählt da wer wem?
Und da kommen wir dann der Crux, so wie ich sie wahrnahm, näher: Pounding Nails mag im Original ein höchst amerikanisches Ding sein, es mag von Berkenhoff für Gerber als eine Art böse Standup Comedy angelegt sein, es erinnert doch sehr an eine moderne Form der Publikumsbeschimpfung. Und sowas hat, so fiel’s mir gestern auf, einen fast unvernmeidlichen Geburtsfehler: Ausgangspunkt ist die Annahme, das Publikum zu kennen. Tja, aber ist das so? Hält nicht, wer dem Publikum den Spiegel vorzuhalten meint, vielmehr sich selbst den Spiegel seiner eigenen Vorurteile – eben denen übers vermeintlich bekannte Publikum – vor?
Manches Mal mag das angehen. Manches Mal mag ein solcher Text, eine solche Inszenierung, eine solche "Spontanarbeit" genau ins schwarze Treffen. Zumindest bei dem einen oder anderen, der da im Dunkeln hockt und zuschaut. Aber vieles, viel zu vieles geht genau an der Stelle daneben – und das so gut wie zwangsläufig. Wer sagt denn, es ginge nur eine übersatte oder auch überängstliche, je nach Publikationsorgan vom Aussterben bedrohte oder auch wieder im Kommen begriffene bürgerliche Mittelschicht ins Theater?
Wer sind wir Autoren, dass wir glauben, wir wüssten, wer uns wie liest, sieht, rezipiert? Und was sind das für Regisseure, die meinen, sie wüssten ganz genau, für wen sie inszenieren?
Und plötzlich hatte ich gestern eine neue "Widerstandsidee" im Hirn. Frei nach Oscar Wilde, der bekanntlich allem widerstehen konnte außer der Versuchung, will ich nun versuchen, der Scheingewissheit eines wie auch immer gearteten Gegenübers beim Schreiben, mindestens beim Schreiben für die Bühne, zu entgehen.
Mit dem bisschen Licht im vielen Dunkel und den vielen Worten von nur einer Seite hat das Theater ohnehin eine Menge vom Kind, das in den Keller gehend singt.
Und insofern ist es dann auch schon wieder egal, wie überwältigend, treffsicher, daneben, gut, mittelmäßig, komisch, eklig, traurig, nervig, oder gar von all dem ein bisschen Pounding Nails in der Box in Essen ist. Mich hat’s auf interessante Gedanken gebracht, mehr kann man von Theater echt nicht verlangen.
Näglein, Näglein an der Wand
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