Nein, ich bin weder plötzlich parteipolitisch unterwegs noch hinterhältig und gemein, und es geht auch nur am Rande darum, dass es mir schleierhaft ist, warum es mir seit Tagen bei Blogg.de unmöglich ist, Links zu setzen (aber ich hoffe schwer, die Funktion kehrt zurück – es reicht, dass die Statistikfunktion ebenso auf Nimmerwiedersehen verschwand wie die Möglichkeit, der/die/das Bloggroll zu bearbeiten). Vielmehr ist David Mitchells Der Wolkenatlas ein wunderschönes Beispiel für vernetztes Erzählen auf schlichtem Papier …
Ein wahrhaft ver-rückter Roman ist das: Sechs Geschichten von sechs Menschen, die in unterschiedlichen Jahrhunderten und auf verschiedenen Kontinenten leben, werden auf verschiedenste Art erzählt. Alles beginnt mit dem Tagebuch eines amerikanischen Notars, der 1850 per Schiff Ozeanien bereist- bis es, sehr zum Ärger eines britischen Komponisten, der es 1931 in Belgien liest, mittendrin abbricht. Frobisher, so der Name des Komponisten, erzählt die Geschichte seiner Flucht in einer Folge von Briefen seinem Freund (und Geliebten), dem Wissenschaftler Sixsmith. Jahrzehnte später trifft dieser Wissenschaftler dann auf eine junge Reporterin Luisa Rey, die er auf die Fährte eines Atomskandals führt. Deren Geschichte erscheint als Teil eines Romanmanuskriptes, das ein heruntergekommener Verleger liest – zumindest, soweit er es in der Bibliothek des Altenheimes, in das man ihn sozusagen entführt hat, vorhanden ist. Mittendrin erfährt der Leser noch die Geschichte eines koreanischen Klons aus der Zukunft und obendrein vom Nachhall einer ungenannten, globalen Katastrophe .. erzählt von einer Art postzivilisiertem, hawaianischen Ziegenhirten und, nun ja, Abenteurer und vielleicht sogar Schamanen. Geheimnisvolle Male und auditive Dejà-vus von Frobishers "Wolkensextet" verbinden Vergangenheit und Zukunft, jede Figur hat ihre eigene Erzählweise und Sprache (wobei der postapokalyptische Hawaianer unter Missachtung sämtlicher heutiger Grammatik- und Rechtschreibregeln am weitesten geht, was für mich erstmal recht gewöhnungsbedürftig war) und zugleich sind sie alle miteinander verbunden …
Furios ist der Schluss, für den alle Fäden wiederaufgenommen und ganz neu verknüpft werden, ohne dass dabei die paradoxe Natur des Ganzen ausgeräumt würde und das Ganze gar in einer simplen Rechnung aufginge.
Insgesamt ist Mitchell eine sehr eigensinnige Komposition, ein sinnliches Vergnügen der lesbaren Art und obendrein ein Buch, das sich sämtlichen Genregrenzen, Erzählkonventionen und wohl auch allem Marktgesülze großartig entzieht, gelungen. Ich kann nur sagen: Danke für das Lesevergnügen!
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