„There is no there there“ lautet ein berühmtes Zitat von Gertrude Stein über den Ort ihrer Kindheit in Oakland, der einem Industriepark hatte weichen müssen. Tommy Oranges Debütroman „There There„, der in Oakland angesiedelt ist, spielt auf diese besondere Art der Ortlosigkeit, des Heimats- und Geschichtsverlustes an und vertieft dieses Gefühl, diesen Zustand ins beinahe Unerträgliche. Kein Wunder, geht es bei ihm doch darum, wie es sich anfühlt, heutzutage als Native American in einer amerikanischen Großstadt wie Oakland zu leben.
Es ist bereits Monate her, dass ich dieses Buch las – was auf eine seltsame Art passt, denn als ich es aufschlug, war ich gerade auf dem Weg an den Rhein, um in der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin, eine Workshopreihe für Kinder und Jugendliche zu starten. Ein mehrmonatiges Projekt, das mittendrin von Corona erwischt wurde, wie so vieles, und damit von heute aus betrachtet fast etwas von einer fernen, verlorenen Vergangenheit hat.
Vergangenheit/en, Identität/en, etwas, das ein Bezugspunkt für das eigene Ich sein könnte – Fragen von Herkunft und Heimat – die Fremdheit im eigenen Land – Selbstzerstörung in allen möglichen Variationen – Tragik und Komik – versuche ich, die Themen und Motive aus „There There“ zu greifen, kommt es mir vor, als wollte ich Algen mit der Hand aus dem Meer schöpfen: was immer es ist, es ist zwar deutlich spürbar da, aber längst entglitten, bevor man es wirklich greifen kann. Was vermutlich der Grund ist, warum ich mich bislang scheute, über das Buch zu schreiben, denn ich fühle mich außerstande, ihm gerecht zu werden.
Sicher, ich könnte vom kunstvollen Plot anfangen, der auf den Überfall auf ein Powwow in Oakland zusteuert, Aspekte aller möglicher Genres gekonnt in sich vereint und doch über jede Genregrenze hinauswächst. Ich könnte mich darüber verbreiten, wie mitreißend und berührend, tragisch, komisch, spannend das Ganze aus Sicht von rund einem Dutzend ganz unterschiedlicher Figuren erzählt wird. Ich könnte über Tommy Oranges kraftvolle Sprache schreiben, die sich jeder dieser Figuren anzupassen versteht. Ich könnte versuchen, sie nachzuzeichnen oder einfach darüber schreiben, wie ich mitten an einem Wintertag an einer Bushaltestelle in Koblenz saß, auf meine Workshoppartnerin wartete, und las, komplett versunken, hingerissen, gefesselt, las und am liebsten sonst nichts mehr getan hätte, außer weiter zu lesen.
Aber wie immer ich es auch angehen würde, es würde sich stets nur wie ein schwacher Abklatsch anfühlen. Als wollte ich mit einem alten Besen ein Gemälde von Brueghel nachmalen. Was so unmöglich wie unbefriedigend wäre, weshalb es nurmehr eins zu sagen wird: los, auf, selber lesen!