Hochgelobtes Debüt, verfilmt noch dazu, das ist SJ Watsons Thriller Before I Go to Sleep. Und ein weiteres Buch zum Thema Amnesie, und zwar sowohl der retrograden als auch anterograden Art. Christines Erinnerungen halten jeweils nur einen Tag, genauer: vom Erwachen bis zum Einschlafen, und das schon seit Jahrzehnten. Was dazu führte, ist im Dickicht des Vergessen verloren. Ihre einzige Waffe gegen das Nichts: ein Tagebuch, täglich fortgeführt, täglich neu gelesen. So erobert sich die Ich-Erzählerin täglich aufs Neue ein Gefühl für sich und vor allem für ihre eigene Geschichte – und geht dem Warum dahinter auf den (spannenden) Grund.
Klingt gut, liest sich spannend, und hat, im Gegensatz zu so manch anderem Krimi oder Thriller, in dem es darum geht, eine Amnesie aufzuklären, den Vorteil, dass Erinnern und Vergessen dabei auf verschiedenen Ebenen tatsächlich auch für das Erzählen, den Diskurs wichtig und wesentlich sind.
Ob ich jedoch mit dem Plot dahinter glücklich bin, also ob ich diese Lösung des Rätsels so glaubwürdig finde, weiß ich nicht. Ja, das Ganze ist in sich logisch und am Ende fallen alle Puzzleteile so, dass sich ein überraschendes und konsequentes Bild mit ‚Rollentausch‘ ergibt. Aber macht das Sinn, kann das wirklich über Jahrzehnte funktioniert haben, dass sich der verschmähte Liebhaber von einst, dessen Attacke seinerzeit zu den amnesieauslösenden Verletzungen führten, als Christines Ehemann ausgibt? Sie mag mit ihrer doppelten Amnesie leicht zu täuschen sein, aber was ist mit der Umwelt, den anderen?
Das riecht für mich konstruiert, nach Maximaldramaturgie, bei der stets derjenige der Täter ist, der vom Ursprung der Geschichte her es eben gerade nicht sein sollte, so dass die Erzählung letztendlich dazu dient, ihre unwahrscheinlichste Deutung am Ende plausibel zu machen. Oder dafür auszugeben. Und das wiederum ist etwas, auf das ich zumeist verfrüht stoße – immerhin, wo ich bei Simon Beckett für gewöhnlich weniger als 50 Seiten brauche (weshalb ich ihn nicht mehr lese), brauchte ich hier wohl rund die Hälfte des Buches.
Was aber womöglich mit einem ironischen Detail am Rand zusammenhängen mag: voll Spannung stürzte ich mich in dieses Buch, das so neu, anders, unbekannt schien – nur um etwa auf Seite 35 zu begreifen, Mist, ich kenne es. Ich hab’s schon mal gelesen, vor ein paar Jahren. Und vergessen.
Insofern … lesen kann man’s, gut sogar. Aber absichtsvoll wiederlesen, indem ich es in mein Uniseminar integriere, werde ich es wohl kaum. 😉