Eines kann ich mit Sicherheit sagen: Susanne Kliems Thriller Die Beschützerin entwickelt beim Lesen durchaus einen starken Sog. Was ich jedoch sehr viel schwieriger zu beantworten finde, ist die Frage, was genau an diesem Buch die Spannung ausmacht.
Ein privater Fernsehsender soll mithilfe externer Unternehmensberater optimiert werden. Naheliegenderweise befürchten alle Angstellten, die Ich-Erzählerin Janne Amelung eingeschlossen, dass damit Einsparungen und Kündigungen gemeint sind. Um so überraschter ist sie, als Vanessa Ott, die zu den Unternehmensberatern gehört, ihre Nähe sucht. Was wie ein Werben beginnt, wird bald zu einem hinterhältigen Intrigenspiel: Vanessa versucht, immer tiefer in Jannes Leben einzudringen, gewissermaßen zugleich es zu zerstören wie sie zu werden.
Stalking und Mobbing gehören damit zu den Grundthemen des Buches, und, sehr gelungen, die Abgenzungsprobleme einer zwar erfolgreichen, aber dennoch ausgesprochen auf Harmonie bedachten Frau. Janne kann vieles, Nein-Sagen jedoch nicht, und genau das droht ihr zum Verhängnis zu werden. Gerade, weil das (insgeheim?) vielen Frauen (und wohl nicht nur diesen) bekannt vorkommen dürfte, ist dies eine ausgesprochen interessante Ausgangsbasis für einen Thriller.
Dass mich persönlich weder Unternehmensberatungen noch TV-Sender-Interna im realen Leben sonderlich interessieren, tut der Spannung beim Lesen genauso wenig Abbruch wie die Tatsache, dass recht schnell klar ist, Vanessa Ott ist die Täterin. Dennoch las ich weiter. Erst wollte ich wissen, wann Janne endlich ihr „Gutsein“ drangibt. Dann war ich neugierig, ob sich das mit dem in der zweiten Person geschriebenen Prolog aufklärt. Hinter dem „Du“ könnte sich ja ein anderes „Ich“, das es anspricht, verbergen – womöglich gar ein Dialog zwischen Janne und Vanessa zu einem unbekannten, späteren (Erzähl)Zeitpunkt. Und schließlich war ich begierig zu erfahren, was Vanessas Motive sind.
Doch so spannend die Lektüre selbst war, die Antworten auf diese ‚Spannungsfragen‘ ließen mich ratlos und auch ein bisschen enttäuscht zurück. Janne bleibt bis zum Schluss die Gute durch und durch (selbst wenn sie mit sich ringt, gewinnt stets das Gute in ihr) und Vanessa die rätselhaft bzw. krankhaft Böse, die eben dazu neigt, ihre Selbstgespräche in der zweiten Person zu führen.
Nun ist das meinerseits sicherlich mal wieder Meckern auf hohem Niveau. Denn zuallererst sollte ein Thriller ja spannend sein, und das gelingt Susanne Kliem ganz ausgezeichnet. Dass ich mal wieder mehr will (und ihr auch noch mehr zutraue), ist da wohl schlicht mein persönliches Problem. 😉
P.S.: Eine ganz andere Frage, die sich mir beim Lesen stellte: Was macht eigentlich für mich gute Seminarlektüre aus? Ich stieß auf dieses Buch ja nicht zuletzt auf der Suche nach geeigneten Romanen für ein geplantes, drittes Identitätsseminar mit Schwerpunkt „Vervielfältigung vs. Einzigartigkeit“ (Zwillinge, Doppelgänger & co. sowie Identitätsklau), für das ich zwar schon einige potenzielle Kurzgeschichten, aber noch nicht wirklich passende Romane gefunden habe. Und eine Antwort auf diese meine eigene Frage muss ich auch erst noch finden …