Zweiter Versuch: Wie war das Abschiedsfest von Proust denn nun? Wer von der langen, illustren Liste der Auftretenden ist mir besonders im Gedächtnis geblieben? Und wie fühlt sich das Ganze jetzt, zwei Tage danach und zwei Tage vor der Lesung zum Auftakt des neuen Proust nun an?
Was ein Glück, dass ich als freiberufliche Autorin nie einen Ausstand werde feiern müssen und ich, selbst wenn es dazu käme, gar nicht berühmt genug bin, einen so wunderschönen, aber eben auch ziemlich großen Saal wie den der Lichtburg mit meinen Gästen zu füllen. Denn wenn man den hat, dann sollte man unbedingt Gerburg Jahnke als Moderatorin mitbringen. Ihr allein hätte ich schon den ganzen Abend beim Herumräumen auf der Bühne und dem Kampf mit den Mikrofonen zuschauen und zuhören mögen – cool gewandet mit hochgeschlitztem Glitzerabendkleid und in rosa Schuhen mit Fellfutter, die aussahen, als hätte man UGG Boots mit Puschen gekreuzt. Ein Hoch auf Frauen, die warme Füße zwanghaften Schönheitsidealen vorziehen und zu ihrem Alter stehen!
Frau Jahnkes Text zum 5. Jubiläum von Proust, in dem jedes Wort mit B oder P anfing, hätte ich liebend gern in Druckform zum Nachlesen – genau wie ihren Doppellebenslauf mit Bettina Engelhardt. Deren Auftritt war darüberhinaus auch aus modischer Sicht (ein Blickwinkel, den ich sonst nie einnehme, an diesem Fest muss etwas ganz besonderes gewesen sein, anders ist das alles nicht zu erklären) eine eigene Erwähnung wert: Was war das für eine ungewöhnlich Bluse, die sie zum asymmetrischen Rock im Schottenmuster trug? Der Schnitt erinnerte an eine Tulpe. Jedenfalls sorgte er dafür, dass die Trägerin der Bluse etwas Blumenhaftes bekam. Ein echter Hingucker.
Silvia Weiskopf, die als Isa aus Wolfgang Herrndorfs „Bilder deiner großen Liebe“ auftrat (das entsprechende Programm von und mit ihr muss ich mir unbedingt noch einmal ansehen), sah entsprechend ihrer Figur ziemlich wild aus, vor allem mit der Perücke. Mitreißend, wie sie Isas Flucht aus der Anstalt aus deren sehr eigenwilliger Sicht schildert. Berührend und unwiderstehlich, verletzlich und ungeheuer präsent.
Claus Leggewie, der eigentlich mit dem leider erkrankten Navid Kermani ein Gespräch hätte führen sollen, warb stattdessen solo für eine Unterschriftenaktion für den in Algerien inhaftierten Autor Boualem Sansal. Jessica Lehmann, einst Proust-Azubine, nun Spoken Word Artistin, trug etwas über ihre Anfänge bei Proust vor (glaube ich, sorry, das kam nicht wirklich bei mir an) und die Lyrikerin und Autorin Lütfiye Güzel (aus Marxloh, wie Frau Jahnke betonte, die sich über die geballte Präsenz von so viel Ruhrgebiets-Prominenz freute) las ein Gedicht, in dem sie aus Migrantenkindersicht (so nannte sie es, meine ich, und so hörte ich es) einen von Armut geprägten Blick auf die Welt warf. Auch das hätte ich gerne zum Nachlesen, denn zu leicht verlor ich mich am Abend selbst in einzelnen Bildern.
Das Schauspielerduo Jenny Ewert und Till Beckmann machten einen Proust-Quiz, später las sie noch die deutschen Übersetzungen dreier Werke der syrischen Dichterin Lina Atfah. Die waren bereits auf Arabisch beeindruckend – und „Entschuldigung“ sollte man am nächsten Orange Day unbedingt großflächig plakatieren und live präsentieren, finde ich. Und jetzt, wo ich Jan Wagner live erlebt habe, muss ich wohl doch anfangen, seine Gedichte zu kaufen, um sie nachzulesen, da führt kein Weg dran vorbei …
Dass Fritz Eckenga großartig ist, liegt eh auf der Hand. Und die Musik – verschiedene Spielarten von Jazz, gespielt von Thomas Hufschmidt (Klavier), Joyce van de Pol (Gesang), Stefan Bauer (Vibrafon) und Michael Heupel (Flöte) – war ein sehr passender Rahmen, wo es doch darum ging, die Inhaber und Gründer von „Proust – Wörter + Töne“ zu verabschieden.
Und doch war für mich der berührendste Moment der, als ganz zum Schluss Beate Scherzer und Peter Kolling die Bühne betraten und er, so glücklich wie gerührt, ausrief „von allen, die heute Abend auf dieser Bühne waren, sind wir die einzigen, die jeden einzelnen im Saal kennen“.
Stimmt genau. Und deshalb werden wir alle Euch zwei sehr vermissen. Danke fürs Fest und danke für die Zeit davor.
P.S.: Falls es irgendwann das Buch zum Fest geben sollte, also, ich würde es sofort käuflich erwerben wollen. Natürlich bei Proust, jetzt Wörter + Schönes