Beeindruckend

Das Buch ist ein schmales Leichtgewicht, zumindest könnte man das denken, wenn man es aus dem Regal zieht oder es im Briefumschlag per Post den Weg zu einem findet. Doch die Geschichte, die Natasha Brown in „Assembly„, ihrem Debütroman aus dem Jahr 2021 erzählt, hat mich tiefer beeindruckt als so manch dicker Wälzer. Erzählweise, Perspektive und Inhalt sind dabei auf beklemmende, geradezu perfekte Erzählweise miteinander verwoben.

Ein Stapel Taschenbücehr auf dem Fußboden, zuobers liegt "Assembly" von Natasha Brown.
Federleichtes Schwergewicht: „assembly“ von Natasha Brown.

Als träfe eine Ich-Erzählerin auf Virginia Woolfs Technik des Stream of Consciousness, also als seien wir im Bewusstseinsstrom, der Wahrnehmung und dem Denken der Hauptfigur gefangen – so entfaltet sich aus vielen Einzelmomenten die Geschichte einer jungen, schwarzen Frau, die es im britischen Bankbusiness zu etwas gebracht hat. Doch das nicht etwa, weil genau das ihr Lebenstraum gewesen wäre. Mathematik und Bankwesen, das sind ganz objektiv betrachtet die Bereiche, in denen ein Vorwärtskommen allen Vorurteilen zum Trotz am ehesten gelingen kann. Und für gesellschaftliche Teilhabe und wirtschaftlichen Erfolg haben sich doch ihre Eltern, ja, geradezu all ihre Vorfahren krummgemacht, dem kann und will sie sich nicht verweigern, nicht entziehen. Kurz vor der Vollendung scheint diese Karriere nun, denn ihr Freund hat sie über die Feiertage zu seiner Oberschichtfamilie aufs Land ins alte Manor eingeladen. Das liest sich wie kurz vorm Happy End und hat doch vielmehr vom Gegenteil. Denn die Ich-Erzählerin ist sich alles andere als sicher, wie das Kapitel „Here I Am At The Station. I Should“ zeigt:

The departure boards display leisurely. Flick from one of two, to two of two, and back again. I find mine amongst the screens. A platform number shines blurry from a handful of orange dots.

So, here I am at the station. I should go find my platform and get on teh train. It’s a forty-minute ride. He’ll meet me on the other end. Parked outside the station in his Mini, ready to drive me the rest of the way.

I don’t feel that I’m going on a journey. Her I am, ni heavy bags or comfortable shoes. I’m still dressed for work, I’m here straight from teh office. The leather tips of my shoe-boots wink against sharp-pressed hems.

It would have been better to make this trip tomorrow morning.

But I’m here now. And I should at least move. I’m in the way, standing here. Jostled by the currents of rushing people, dawdling people, people arranged as families, clustered like ducklings. So come on now. Lift the left foot and swing it ahead, spring forward. Don’t slow down,don’t stop. Don’t think. Just keep it moving.

Go get on the train.

But here I am,

still

stood, still

at the station.

I really should

Natasha Brown, Assembly, Penguin Bookd 2021, p. 35f.

Prosa an der Grenze zur Lyrik, in der sich die glasklaren Wahrnehmungssplitter der Hauptfigur fassen lassen, als laufe man tatsächlich in ihren spitzen Schuhen mit, als stecke man in ihrer dunkeln Haut und werde genau wie sie getroffen von den abschätzigen Blicken, dem abwertenden Verhalten, all dem alltäglichen Rasissmus. Bei Brown ist all das so unausweichlich, stest und ständig präsent, dass es mir als weißer Deutschen, als Mensch, dessen Anderssein nicht zwangsläufig in jedem Moment für alle sichtbar ist, schier den Atem nimmt. Etwas rational zu ‚wissen‘ und etwas auf diese Weise zugleich kunstvoll wie authentisch mitzuerleben, sind eben zwei Paar Schuhe.

Obendrein stürzt der Roman die Leserin tief hinein ins Dilemma der Ich-Erzählerin, die — Achtung, Spoilerwarnung — nicht nur vor der Frage steht, ob sie diesen Freund nun heiraten und diesen Weg weitergehen soll, sondern die sich ganz unmittelbar entscheiden muss, ob und wenn ja wie sie ihrer Krebserkrankung begegnen soll. Beklemmend daran ist, dass sie so sehr in ihrem mehrfach fremdbestimmten Leben gefangen ist, dass die Vorstellung eines vermutlich qualvollen Todes geradezu als Ausweg erscheint, samt der Hoffnung, dass ihre Erbin dann mit ihrem Geld einen noch besseren Start hat und nicht, wie sie, im Kampf um ihren Platz in diesem Leben aufgerieben wird und sich selbst verliert.

Wofür sie sich entscheiden wird, weiß sie am Ende nicht, sie weiß nur, dass sie unsicher ist, als er die vermeintliche Fragen aller Fragen stellt. Aber als Leserin bleibe ich beeindruckt und mit vielen nachklingenden Fragen zurück, darunter der, wann wohl das nächste Buch dieser ausßerordentlichen Autorin erscheinen mag.

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