Endspiel

Drei Premieren in drei Wochen, sowas gibt es sonst eher selten. Doch Corona sei Dank gab’s mit Gustav Ruebs Inszenierung von Samuel Becketts Klassiker „Endspiel“ in Essen gestern eben dieses dritte erste Mal – und was da in der Casa das Bühnenlicht erblickte, ist absolut sehens- und hörenswert.

Das erste, was auffällt, ist wohl, wie ungemein aktuell Becketts Stück aus dem Jahre 1967 ist mit seinen vier Überlebenden einer nicht näher bestimmten, unbestimmbaren Katastrophe, diesen vieren, die in ihren absurden Ritualen und eigenartigen Verstrickungen dem Ende entgegen– ja, was eigentlich — sehen, gehen, sich gar danach sehnen?

Alles und nichts davon, und das nicht nur, weil der herrische Hamm (sprachgewaltig: Jens Winterstein) nun mal blind und an den Roll- äh Bürostuhl gefesselt ist und seine alten, verkrüppelten Eltern Nagg (Jan Pröhl) und Nell (Monika Bujinski) hier bettlägrig statt mülltonnenbewohnend sind und somit Knecht Clov (facettenreich: Thomas Büchel) als einziger noch gehen kann, aber es einfach nicht schafft, sich zu widersetzen und abzuhauen. Denn das Problem ist ja: Es gibt gar keinen Ort mehr, an den man noch fliehen könnte und Hoffnung auf Besserung auch nicht – aber einander zu töten und so das Ende herbeizuführen, scheint auch keine Alternative.

Mithin sind sie gefangen: In sich selbst, in dem Haus, in dem alles zu Ende geht (die Pralinen, der Brei, das Beruhigungsmittel, etc.), aber vor allem in ihren Verstrickungen untereinander und den Vorstellungen bwz. Begrenzungen in sich selbst. Und heute kann man gar nicht anders, als die tote Welt aus Asche draußen als Klimakatastrophenszenario zu lesen und den klaustrophobischen Innenraum womöglich als Variante eines in alle Ewigkeit ausgedehnten Lockdowns zu sehen.

Die vier oder vor allem die zwei, denn Clov und Hamm sind nun mal die Hauptakteure, dabei zu beobachten, ist ganz und gar nicht zäh oder langweilig, sondern hochspannend, teils tragik-komisch, teils böse satirisch und manchmal auch berührend. Das ist zum einen Beckett und seiner Sprachmacht geschuldet, zum anderen dem hervorragenden Ensemble zu verdanken – allen voran Thomas Büchel, dem man zu seinem ungeheuer lebendigen Clov nur gratulieren kann. Allein er wäre ein Grund, sich dieses „Endspiel“ mehr als einmal anzuschauen.

P.S.: Warum Rueb allerdings am Schluss den Videomonitor überm Kranken/Totenbett von Nagg und Nell mit Fernsehbilder der Dürren, Überschwemmungen und Feuersbrünsten dieses Jahres beschickt, ist mir nicht klar. Wer diese Parallelen bis dahin nicht gezogen hat, wird sie wohl auch nicht sehen, wenn er sie mit dem Holzhammer eingebleut bekommt. Das hätte es nicht gebraucht – aber das kann man am Ende dieses ansonsten so gelungenen und runden Abends getrost übersehen.

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