Eva Figes: The Knot

Manche Geschichten spannen ihren Bogen weit, erzählen über Kontinente und Generationen hinweg. Manch Autorin, manch Autor schreibt höchst detailliert, füllt hunderte von Seiten mit der Erzählung. Nicht so Eva Figes. Bei ihr wird Prosa zu verdichteter Sprache und das Erzählen nimmt poetische Formen an. So auch in „The Knot„, das 1997 bei Minerva erschien.

Lyrisch, rhythmisch, flirrend: „The Knot“ von Eva Figes.

Zumeist heißt es über das Buch, es zeichne in sehr verdichteter Form das Leben von Anna Hart vom Säugling übers Kleinkind- und Kinderalter, die Pubertät und das Erwachsenenwerden hinweg bis zum Mutterwerden, Muttersein und erzähle somit geradezu den Lebenszyklus.

Ja, das kann man auf der Ebene des Inhalts durchaus so sehen, das entspricht den Stationen des Buches. Unendlich viel wichtiger erscheint mir dabei jedoch die Sprache selbst, die sowohl Thema als auch Form, Mittel und Zweck des Ganzen ist: Das Baby und Kleinkind lernt über Klang und Rhythmus die Worte, die es ihm im weiteren Leben ermöglichen, diese zu beschreiben, eine Position zur Welt einzunehmen und sich in ihr zu orientieren. Sprachspiel und Sprachbeherrschung und nicht zuletzt so etwas wie Selbstentfaltung durch Sprache sind für mich dabei zentrale Motive oder Fäden, die das Ganze (ein schmales Ganzes von gerade mal 170 Seiten) durchziehen.

Zugleich spiegeln sie sich immer wieder darin bzw. spiegelt die lyrische Art, mit der Figes die Sprache gebraucht, diese Inhalte ungemein konsequent. Das merkt man spätestens, wenn man einzelne Passagen laut liest:

My name ist Anna Elizabeth Hart, and I am eight and a quarter. I live at forty-nine Fortescue Avenue, which is in England, which is a little blob on the map.

The Knot, p. 34

Der Rhythmus erinnert an einen Kinderreim, was durch die Binnenreime noch verstärkt wird. Zugleich hört man darin den Stolz des Kindes heraus, dass die Namen der Personen und Sachen kennt, also die Welt einfangen, weil beschreiben kann.

Anna!

Pretend not to hear. I am not Anna. I do not know whether I have a label, or what it will be, ought to be. Perhaps Anna will do, after all, but I will not be who they think I am. Not Anny-Panny, not my child.

Anna!

Pretend to be stone deaf. I am ompervious to sounds. I pull up my drawbridge, lie hiding in my fortress, behind walls of stone. Defiance, that is my watchword.

The Knot, p. 49

Für den Teenager sind Namen vielleicht nicht gerade Schall und Rauch, aber doch fraglich, fragil wie die im Umbruch befindliche, eigene Identität. Sprache ist Herrschaftsmittel, das es abzuwehren gilt. Und der Rhythmus wird schneller, drängender.

The hubbub in the room is rising. I cannot make out individual words, but everybody is talking, talking. I do not know if anyone can hear themselves. I doubt whether they feel sure of being heard. But that is not the point. The point is to speak, to go on speaking with the maximum vivacity, to hold the eye, if not the ear, to keep whirling in the swim of it now, to stay part of it, the words bubbling out, such fun, so much to say, or so many ways of saying it, holding his eye, holding hers, so his eye, hers, will try desperately to lipread, watching the mouth moving if the hubbub drowns out all sound.

The Knot, p. 81

Wow, dachte ich, als ich den letzten Satz obigen Zitates das erste Mal las, wow, so dermaßen gut auf den Punkt gebracht habe ich das lautstarke Stimmengewirr, Sprache als soziale Interaktion, wo der Inhalt, das Gesagte, praktisch bedeutungslos ist, noch selten gelesen. Und dass darin der Blickpunkt, das Erleben derjenigen, die außerhalb des „Hubbubs“, der Sprachbreis und des durch ihn erzeugten Gemeinschaftsgefühls steht, bereits enthalten ist, ist um so beeindruckender für mich. Sicher auch, weil diese Draufsicht, der Blick von außen, vom Rand etwas ist, das mir sehr vertraut ist.

Geradezu genial, dass hier gerade ein Wendepunkt in Annas Lebensgeschichte vorbereitet wird. Aber dazu schweige ich besser, ich möchte niemand, der oder die das Glück hat, ein Exemplar dieses vergriffenen Romans zu ergattern, die Entdeckerfreude nehmen.

Und ich freue mich, dass auf meinem Stapel ungelesener Bücher noch eines von Eva Figes auf mich wartet. Denn eines ist mir doch nach wie vor unbegreiflich: dass diese Autorin eine (fast) vergessene wurde und ihre Bücher beinahe durchweg vergriffen sind.

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