Jess Kidds Roman begegnete ich, weil ihn mir eine liebe Freundin telefonisch ans Herz legte. Genauer gesagt, sie wollte gerne lesen, was ich wohl im Blog über Things in Jars schreiben würde. Hm, gute Frage. Wie also beschreibt man einen Kriminalroman, der im viktorianischen England angesiedelt ist, und in dem mit Bridie Devine eine weiblicher Sherlock Homes zusammen mit einem toten Sidekick, der kein Doktor Watson, sondern ein Preisboxer war, unter Sammlern und Liebhabern exotischer Objekte mit privaten Raritätenkabinetten ermittelt?
Ist das so etwas wie Gothic Novel trifft Steam Punk ohne Futurismus, dafür mit Mystery? Oder geht das um mehr, um Fragen von Anderssein und Akzeptanz, um Normen und Bigotterie, und nun ja, tödliche (Sammel)Leidenschaften? So vieles ließe sich über das Buch und seine Figuren sagen.
Lebensprall sind sie, zugleich ein Stück weit größer, knalliger, farbiger. Ich vermute, so wollte Charles Dickens immer schreiben, aber das hätte dann doch das Korsett der seriellen Veröffentlichung als Zeitungsroman und den vornehmlich männlichen Massengeschmack gesprengt. Denn bei Dickens geraten diese Stadt- und Sittenbilder, das Gewimmel der Figuren auf den Seiten mir oft dann doch zu gewollt, zu arrangiert – bei Jess Kidd wirkt all das, als sei das einfach genau das, was die Figuren im jeweiligen Moment erlebten, dachten, sagten, taten.
Wunderbar der Gedanke, dass dies der dritte Roman der in London aufgewachsenen Irin ist, also zwei weitere Werke von ihr auf mich warten. Traurig dagegen, dass die beiden Bücher davor andere Charaktere haben, also keine Möglichkeit der Wiederbegegnung mit Bridie Devine bieten. Was wiederum an eine andere, nicht gerade unbekannte Autorin erinnert – Minette Walters, deren erste fünf Romane ich allein dewegen bewunderte, weil sie nicht nur jedes für sich standen, von und mit neuen Figuren handelten, sondern weil sich die Autorin jedes Mal die Mühe machte, eine andere Art des Schreibens, eine individuelle Erzählweise für neue Geschichte zu finden.
Deswegen – auch, wenn ich Bridie vermissen werde, freue ich mich doch ausgesprochen darauf, weitere Bücher von Jess Kidd zu lesen. Die Frau kann Figuren, hat eine ganz besondere Art, mit Sprache umzugehen (da stört auch der Präsens der Haupterzählung nicht wirklich) und kann ungeheuer atmosphärisch dicht erzählen. Was will man mehr, gerade jetzt, wo die dunkle Jahreszeit kommt und Regen und Wind (und steigende Coronazahlen) dazu einladen, es sich auf dem Sofa gemütlich zu machen und zu lesen, lesen, lesen?