Weihnachten ohne ein Buch unterm Baum ist für mich ein Graus. Um so schöner, dort dieses Mal „Where the Crawdads Sing“ von Delia Owens vorzufinden. Das Romandebüt der ausgezeichneten Sachbuchautorin ist nicht umsonst ein Bestseller, aber obendrein einer, den auch ich wirklich gern las – denn schreiben, mit Sprache umgehen kann diese Frau allemal.
Ihr Naturschilderungen sind ungeheuer plastisch, man meint, das Marschland nicht nur sehen sondern fühlen und riechen zu können. Man lebt mit der als Kind verlassenen Kya, dem Marsh Girl, mit, nicht, als stecke man in ihrer Haut, was auch unangemessen wäre bei einer so scheuen wie spröden Protagonistin, sonden als sei man der Geist einer Freundin, die sie nie hat. Wenn sie zeichnet, so hat man das Gefühl, die Zeichnungen sehen zu können, genau wie man den Wellengang bei den zahllosen Bootsfahrten zu spüren meint und gar nicht anders kann, als mit dem inneren Ohr etwa die Möwen schreien zu hören. Kyas Welt ist mit großer Liebe zum Details und voller sinnlicher Eindrücke entworfen, lebensprall und dabei so lesenswert und schön wie die eingestreute Lyrik.
Enthielte der Roman nichts als die Geschichte ihres Lebens, ich hätte nichts zu kritisieren. Aber da ist ja noch der Mysteryplot mit seiner zweiten Zeitebene, die wohl Spannung erzeugen soll, die ich jedenfalls nicht als Anreiz gebraucht hätte, um weiterzulesen. Vor allem, weil hier der auktoriale Erzähler, der sonst doch in jeden Kopf und jedes Herz zu schauen vermag, sich plötzlich dumm stellt.
„Go ahead,“ the sheriff said. „But please sit down, Rodney. We’d all fee lmore comfortable if you sat.“
Rodney took the chair offer and, for the next five minutes, told them his story. After he left, Ed and Joe looked at each other
Joe said, „Well, now we’ve got motive.“
„Let’s get her in.“
So endet Kapitel 36 und bescherte mir beim Lesen einen ersten, kleinen Tiefpunkt, denn anzudeuten, dass die Figuren Wesentliches wissen, was dem Leser aber vorenthalten wird, das ist ein doch zu billiger Trick. Das sorgte nicht dafür, mein Interesse am Krimiplot oder gar der Gerichtsverhandlung zu wecken, im Gegenteil.
Und das Ende danach … nun, ich weiß es nicht, ganz ehrlich nicht: halte ich das für eine plausible Lösung des Krimplots? Braucht es so eine nachgeschobene Aufklärung des Falls und anderer Details wirklich? Für mich wäre der Verzicht darauf, das Nichtwissen um den wahren Hergang des Kriminalfalls, definitiv die bessere Lösung gewesen.
Was bei einem Beststeller und vor allem einem Buch, das ich über weite Strecken voller Glück und Staunen las, gewiss etwas von Meckern auf hohem Niveau hat. Aber so ist das nun mal: je besser jemand schreibt, um so mehr erwartet man von ihm oder ihr. Und ich bin hochgespannt, was von Delia Owens noch alles zu ewarten ist.