Immerhin einen Vorteil hat es, viel zu arbeiten und dabei oft mit der Bahn zu reisen, verschafft einem das doch immer wieder Zeit zu lesen. Leider hat es eine Weile gedauert, bis ich nun endlich Zeit finde, um über vier papierne Begleiter auf der Schiene – Agatha Christies „The ABC Murders“, Cixin Lius „Weltenzerstörer“, Caroline Grahams „Death of a Hollow Man“ und Anne Cleeves‘ „The Sleeping and the Dead“ – hier im Blog zu schreiben …
Serienkiller erscheinen mir nach wie vor als eine der billigsten Methoden, Spannung in einem Thriller oder Krimi zu erzeugen und aufrecht zu erhalten. Wenn diese dann auch noch den direkten Wettstreit mit der Polizei respektive einem berühmten Detektiv suchen, wird die Sache in meinen Augen geradezu albern. Das dürften gleich zwei Gründe gewesen sein, weshalb ich Agatha Christies „The ABC Murders“ aus dem Jahr 1936 so lange auf meinem Lesestapel liegen hatte, bis ich nicht einmal mehr wusste, wie die Taschenbuchausgabe von PAN überhaupt dorthin gekommen war. Aber dem kleinen Belgier und der Grand Dame des klassischen Krimis gelang es am Ende doch, mich mit leicht altmodischen Charme zu bezirzen. Denn der ABC Killer mag mit seiner Fixierung auf Bahnfahrpläne und Buchstaben hochgradig neurotisch bis vollkommen verrückt wirken, letztendlich gibt es für alles eine vernünftige Erklärung.
Vernunft spielt auch eine große Rolle in Cixin Lius Novelle „Weltenzerstörer“ (2018 erstmals auf Deutsch erschienen), einem knapp 70seitigen Science Fiction über das Entstehen und Vergehen von Welten und Kulturen, über Evolution und Revolution und vor allem die Frage, welche Konsequenzen Handeln und Nichthandeln haben und auch, was Freiheit und Würde bedeuten. Große Themen, die effizient und elegant auf wenigen Seiten verhandelt werden. Gradlinig erzählt mit einem gelungen Plottwist und einem so treffend zugespitzten Schluss, der so folgerichtig wie heroisch-melancholisch ist, dass ich mich scheue, von einer Pointe zu reden.
Während Cixin Lius Erzählung sich an dem orientiert, was seinem Helden, der nur der Kommandant genannt wird, zugänglich ist, und Agatha Crhistie zwischen der Ich-Perspektive von Captain Arthur Hastings, Poirots Freund und Chronisten, und einigen Kapiteln in der dritten Person aus Sicht des Hauptverdächtigen, wechselt, ist in Caroline Grahams „Death of a Hollow Man„, dem zweiten Fall mit Inspektor Barnaby aus dem Jahr 1989, ein auktorialer Erzähler am Werk.
Das passt, denn ein solcher Strippenzieher hinter den Kulissen ist das perfekte Gegengewicht zum Mord auf offener Bühne, zum ganzen Theatersetting der Geschichte. Wie ein Regiesseur arrangiert der auktoriale Erzähler die Figurenperspektiven, die wie ein Reigen das Rückgrat der Erzählung bilden. Er dirigiert so nicht nur das Personal, sondern vor allem die clevere Mechanik des Plots und das Verständnis des Lesers samt allfälliger, krimitypischer Irreführungen und Ablenkungen. Und wirft so Schlaglichter auf die Menschen in der kleinen Stadt, die Typen im schlechtesten wie im besten Sinne des Wortes sind: sie sind Notwendigkeiten des Krimiplots, in dem sie Funktionen haben und Rollen spielen und doch haben sie in manchen Momenten das Potenzial zu archetypischen Vertretern unserer seltsamen Spezies. Dass in einem Krimi von 1989 bereits Demenz ein so großes Thema war, erstaunte mich ein wenig. Und dass es der erste Krimi ist, in dem in einem Theaterstück das Licht, die Beleuchtung nicht nur erwähnt wird, sondern sogar eine plottragende Rolle hat, das war für mich als Ex-Beleuchterin eine nette Überraschung. Und ich bin mir ziemlich sicher, der Roman wird noch lange lesenswert für Krimi- wie Theaterfans sein.
Bei Anne Cleeves‚ „The Sleeping and the Dead“ (2001) bin ich mir da nicht so sicher. Ich fürchte, ihre Serie um Detective Peter Porteous, deren erstes Buch dies zu sein scheint, teilt das Plot-Problem, das auch die Serien um DI Vera Stanhope und Jimmy Perez in meinen Augen haben, ohne jedoch zum Ausgleich deren plastische Orte und lebendige Figuren zu besitzen. Ob „The Crow Trap“ oder „Raven Black“ und „White Nights“, bislang las ich Cleeves‘ Romane vor allem um der Figuren willen. Dass ich ihnen wie den Landschaften, die man geradezu fühlen, riechen, hören und sehen kann, als wäre man da, im Kontext eines Krimis begegnete, war eigentlich zweitrangig, fast schon unwichtig. Deshalb spielt es bei diesen beiden Serien nur eine untergeordnete Rolle, dass die Täter vor allem wegen ihres Potenzials gewählt werden, möglichst lang unauffällig im Plot präsent zu sein, um am Ende wie das Kanninchen als Überraschungseffekt gezaubert zu werden, ohne dass das Ganze auch nur annähernd so psychologisch stimmig wäre wie alle anderen Handlungsstränge. Leider bleiben eigentlich alle Figuren in „The Sleeping and the Dead“ von vornherein Papier bzw. reine Behauptung. So wird mir z.B. immer wieder erklärt, dass Detective Peter Porteous einen Nervenzusammenbruch hatte und noch unter großem, neurotischen Stress steht, aber wirklich spürbar in seiner Handlung oder auch der Erzählweise in den Kapiteln aus seiner Sicht wird das nicht. Und der stete Wechsel zwischen den Figurenperspektiven samt den zeitlichen Überlappungen wird so für mich eher zu etwas Nervendem, etwas, das mich von den Figuren noch weiter fernhält, mich aber auch nicht gespannter auf den überaus konstruierten Plot macht. Nein, hier bleibt Cleeves für mich weit unter ihren Möglichkeiten.
Aber nach dem Lesen ist ja immer auch vor dem Lesen – ich bin also gespannt, was mich in dem nächsten Buch, von wem auch immer es geschrieben sein mag, erwartet. 🙂