Otello, tarnfarben

Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, behauptet ein Sprichwort. Ob Regisseur Roland Schwab und seine Kostümbildnerin Gabriele Rupprecht das im Sinn hatten, als sie alle außer Desdemona (Gabrielle Mouhlen) und Emilia (Bettina Ranch) in militärische Tarnfarben steckten? Allein, was macht das aus Otello (Gaston Rivero), der bei Shakespeare „Der Mohr von Venedig“ und damit der sichtbar Andere, der, der nicht dazugehört ist? Einen eifersüchtigen Narren, formbar wie Wachs in Jagos Händen, so möchte man nach der Premiere von „Otello„, der Verdi-Oper am Samstag im Aalto-Theater in Essen meinen. Und sehr überzeugend ist das nicht.

Irgendwer ist immer am Boden: Jago (Nikolz Lagvilava) vernichtet Otello (Gaston Revero). (Foto: Thilo Beu)

Denn selbst wenn man als gesetzt annimmt, dass der große Feldherr Otello (Gaston Rivero) seinem Fähnrich Jago (Nikoloz Jagvilava) zu Unrecht vertraut, nichtsahnend, dass dieser ihm Cassios (Carlos Cardozo) Beförderung zum Hauptmann übelnimmt und ihn deswegen vernichten will – weshalb sollte er sich deshalb derart leicht manipulieren  und zum Hanswurst machen lassen? In Shakespeares Drama erklärt sich das vor allem durch Othellos tiefe Unsicherheit als Außenseiter und zugleich als traumatisierter Mensch, wie man heute sagen würde, der nie gelernt hat, dem Glück und dem Guten zu vertrauen.

Nun kann ich, da diese Premiere meine erste Begegnung mit Guiseppe Verdis Opernfassung war, nicht beurteilen, inwiefern dieser zentrale Aspekt schon im Libretto fehlt – aber wenn ich an die wunderbare Ballettversion des Stoffes denke, die vor fast sechs Jahren Denis Untila und Michelle Yamamoto auf dieselbe Bühne brachten, dann weiß ich, Worte braucht’s wahrlich nicht, um diesen Aspekt so packend wie berührend herauszuarbeiten. Ergo nehme ich an, Roland Schwab wollte es so und nicht anders.

Aber was will er da? Was will er mir damit sagen, vor der Musik Jago aus dem Dunkel bedeutungsschwanger nebelschwenkend endlos langsam auf die Bühne schreiten zu lassen? Der Chor, der dem folgt, ist zwar seitens Verdi eine musikalisch höchst gelungene Version des Botenberichts (da kann sich Shakespeare grämen, im Gegensatz zum Schauspiel hat so ein Opernchor doch sehr viel mehr vom Tosen des Meeres und dem Schlachtengetöse, selbst wenn er ein Geschehen nur berichtet, dachte ich da noch bewundernd) – aber warum hampeln die alle mit den Armen herum und schwanken auf der Bühnenschräge (Pierre Vinciguerra)? Will man mir so unbeholfen das Meer und den Sturm ausmalen, als reichten meine Fantasie und Verdis Musik dazu nicht aus?

Und das bei diesem Essener Opernchor, der mich doch in so vielen anderen Inszenierungen schon gerade im Gegenteil durch Spielfreude samt entsprechenden Fähigkeiten überzeugte! Insofern schiene es mir billig, an dieser Stelle die Solisten für ihr ebenfalls unbeholfenes Spiel zu kritisieren, denn ich muss ja nun annehmen, dafür zeichnet die Regie verantwortlich. Und dass die sich selbst nicht traut, zeigt sich wiederum an den Statisten, die als Otello-Klone dessen Verzweiflung (oder welche Gefühlslagen Schwab dem eifersüchtig Rasenden auch unterstellen mag) vervielfacht in übergroßen, unterüberzeugenden Gesten ausagieren.

Oh je. Was soll man dazu sagen? Da kann Gabrielle Mouhlen als Desdemona noch so betörend schön singen, und auch alle anderen sich musikalisch noch so sehr die Seele aus dem Leib spielen, wirklich anschauen mag man sich das Ganze nicht (zumal, die Riesenrollos als Pseudobühne, das ist ja fast noch einfallloser als die Tarnfarben als Kostüme).

Deshalb: wer Verdi liebt, mag die Augen schließen und genießen. Alle anderen, vor allem die, die der Stoff dahinter interessiert, können ja mit mir hoffen, dass besagte Ballettversion vielleicht noch einmal einstudiert wird.

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