Oh wie Oz

Oh wie schön ist Oz, so bunt und strahlend, voller Musik, Farbe und Poesie. Schwer zu sagen, was das bezauberndste an Anne Spaeters Inszenierung des Kinderbuchklassikers „Der Zauberer von Oz“ ist – die Bühne (Fabian Lüdicke) mit den traumschön gemalten Regenbögen, die mit jedem Lichtwechsel neu erstrahlen? Die fantasievollen Kostüme von Anne Koltermann (selten sah ich einen so salonfähigen Löwen mit Rocktolle!)? Das kleine Ensemble, das mit Spielfreude Umzüge und Verwandlungen zu Bühnenzauber werden lässt? Jedenfalls schwer vorstellbar, dass es einen schöneren Ort als geben kann – und doch will Dorothy (Julia Friede), vom Sturm nach Oz getragen, unbedingt nach Hause ins graue Kansas.

Für uns Zuschauer ist das natürlich sehr gut, denn sonst könnten wir ja nicht mit ihr die Vogelscheuche (Gregor Henze), die zwar singen und Geige spielen kann, sich aber am allermeisten nach Verstand sehnt, kennenlernen. Zudem: wer hätte die Begegnung mit dem Blechmann (Michael Del Coco) verpassen wollen, den beinahe alles zu (rostgefährlichen) Tränen rührt – und der nichts so sehr vermisst wie ein echtes, schlagendes Herz? Und der Löwe (Stefan Diekmann) erst, der cool rappend und tanzend die Bühne mit seinen Kumpels (die wunderbar mitspielenden Musiker Dominik Dittrich und Benjamin Leibbrand) betritt, bevor sich rausstellt: eigentlich brüllt er nur, damit niemand merkt, dass ihm vor lauter Angst dauernd die Knie schlottern. Kein Wunder, das sein Antrieb, sich mit Dorothy, Vogelscheuche und Blechmann auf die gefährliche Reise in die Smaragdstadt zu begeben, in der Hoffnung liegt, dass der große Zauberer von Oz ihn magisch mit Mut versorgen wird – und das, obwohl er doch immer wieder die anderen beschützt, sei es vor den gefährlichen Kalidas oder den fiesen Flügelaffen, die die böse Hexe Makkaba (Sabine Osthoff) schickt, um das Quartett aufzuhalten.

Während die Geschichte, Lyman Frank Baum 1900 veröffentlichte, den meisten vermutlich in der einen oder anderen Hollywoodverfilmung bekannt sein dürfte, arbeitet Anne Spaeter in ihrer Bühnenfassung Züge des Originals so klar heraus, dass selbst für mich vieles wie neu gesehen war: die graue, staubige Einöde von Kansas etwa. Diese war für Lyman Frank Baums Zeitgenossen ungewöhnlich für ein Kinderbuch; dort erwartete man offenkundig keinerlei Realismus, indem sich auch noch ein karges, hartes Leben spiegelt. Dabei gehört sie zu dieser Geschichte wie der Vergleich zu Lewis Carrols „Alice in Wonderland“ während der bonbonfarbene Zuckerguss der 1939er Verfilmung mir zumindest keineswegs fehlt. Denn, wenn man es recht bedenkt, erzählt die Inszenierung von Anne Spaeter von mehreren Wundern auf einmal: dem der doppelten Rettung von Dorothy etwa und dem, dass wir wie Vogelscheuche, Blechmann und Löwe oftmals selbst unsere vermeintlich größten Unzulänglichkeiten auch ohne Magie (dafür gern mit etwas Hilfe von unseren Freunden) überwinden können. Und last but not least die verwunderliche Erkenntnis, dass vermutlich uns allen unser Zuhause gelegentlich langweilig und grau erscheinen mag, es aber dennoch der Ort ist, wo sich unser Herz hinsehnt. 🙂

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