Was würden Sie in Ihrem Leben ändern, wenn Sie zu jedem beliebigen Punkt Ihrer Biografie zurückkehren und sich anders verhalten könnten? Hannes Kürmann, die Hauptfigur in Max Frischs Stück „Biografie: Ein Spiel“ bekommt jedenfalls die Chance, genau das zu tun – mit tragischen wie komischen Aus- und Nebenwirkungen, die Thomas Ladwig präzise und pointiert in seiner Inszenierung herausgearbeitet hat, die gestern am Essener Grillo-Theater Premiere feierte.
Der Clou im Stück liegt in der offenen Verdopplung der Theatersituation: Max Frisch zeigt nämlich Hannes Kürmann (Jens Winterstein ) nicht als Zeitreisenden, sondern als Mann, der auf einer eigens dafür geschaffenen Bühne in frühere Momente seines Lebens zurückkehrt. Dabei helfen ihm zwei Spielleiter (Silvia Weiskopf und Stefan Migge), die dabei die Rollen der Mitmenschen in Kürmanns Biografie übernehmen. Und in Essen hat Ulrich Leitner dafür auf die Vorbühne eine weitere Bühne gesetzt, mit eigenen, offen sichtbaren Beleuchtungsgalerien auf beiden Seiten des Portals, darunter zwei Garderoben und in der Mitte eine aus mehreren, rotierenden Elementen zusammengesetzte Drehscheibe. Alles ist veränderbar, nichts ist fest.
Oder ist das ganz falsch? Ist das Leben oder wenigstens die Liebe zu und Ehe mit Antoinette, die nach und nach ihre tödlichen Konsequenz enthüllt, vielleicht doch schicksalhaft? Anfangs laufen jedenfalls sämtliche Versuche Kürmanns, Antoinette bei der ersten Begegnung aus seiner Wohnung als letzten, nächtlichen Partygast gehen zu lassen, immer wieder darauf hinaus, dass sie miteinander im Bett landen. Was als Spiel zwischen Jens Winterstein und Silvia Weiskopf unter der ‚Regie‘ von Stefan Migge wunderbar anzuschauen ist, mit all den Unterbrechungen, Wiederholungen und kleinen und großen Variationen, das einem fast schwindelig werden könnte. Das steckt voller Komik und schräger Melodramatik, und die Tragik darunter, dahinter, das, was man Kürmanns Schuld nennen könnte, enthüllt sich erst nach und nach.
Als Zuschauer erlebt man ein Spiel im Spiel, das mal an eine Psychotherapiesitzung der bewegten Art erinnert, mal etwas von einer Familienaufstellung hat. Meist ist man dicht an Kürmann und Antoinette dran, so dicht eben, wie das bei einer Komödie, die ja eine gewisse Distanz zur Figur braucht, möglich ist. Dann will man wissen, was ist da genau wie schief gelaufen in seinem Leben, und warum gibt es diese anderen Dinge, die er partout nicht ändern will – wie etwa den Selbstmord seiner ersten Frau? Dann wieder fragt man sich, wie geht das zusammen, dass hier einerseits ein Mensch seiner Biografie einen anderen Verlauf gibt, aber offenbar sein Ende dabei die ganze Zeit feststeht? Wo befindet sich die Bühne auf der Bühne: in Kürmanns Kopf, in einer anderen Dimension, gibt es gar eine ‚reale, realistische‘ Erklärung dafür? Das Spiel damit verdoppelt das Spiel mit Kürmanns Leben und für mich obendrein die Spannung und den Spaß beim Zuschauen.
Das ist ein Stück, das man nicht nur einmal sehen sollte, sondern mehrfach, und dazwischen am besten es auch lesen, denke ich. Um den Nuancen, den Feinheiten des Stücks, der Inszenierung und nicht zuletzt der großartigen Schauspieler in all den szenischen Wiederholungen und Variationen noch genauer auf die Spur zu kommen. Denn während man das eigene Leben ja nun mal nur einmal in eine Richtung lebt, und es keinen Weg zurück gibt, steht wiederholten Theaterbesuch ja nichts entgegen. 🙂