Über Jutta Profijts „Unter Fremden“ schrieb ich bereits im November hier im Blog, wo wäre meine Begeisterung über diesen konsequent gedachten, hervorragend erzählten und vor allem so wunderbar geschriebenen Roman auch besser aufgehoben? Nun, ganz einfach: Auf dem Podium bzw. der Gala-Bühne bei der diesjährigen Criminale in Halle, wo es dafür den Friedrich-Glauser-Preis für den besten Kriminalroman 2018 gab. Herzlichen Glückwunsch, liebe Jutta! 🙂 Und vielen Dank, dass Du mir für mein Blog verraten hast, wie es zu dem Buch kam – und wie es sich anfühlt, dafür den Glauser zu kriegen,
denn das schrieb sie selbst mir dazu:
Die Idee für „Unter Fremden“ entstand schon in den fünf Jahren, in denen ich den Interkulturellen Garten in Mönchengladbach gegründet und fachlich begleitet habe. Dort traf ich Menschen, die schon unterschiedlich lang in Deutschland lebten, manche seit Monaten, andere seit Jahrzehnten. Und alle – ALLE! – sagten, dass sie sich hier fremd fühlten. Aufgrund von Aussehen, Sprache oder Essensgewohnheiten. Alltägliche Dinge zumeist, selten die großen Themen wie Religionszugehörigkeit oder Terrorverdacht. Über dieses Fremd-Sein wollte ich schreiben. Nur wusste ich nicht, in welcher Form, vor welchem Hintergrund, mit welchem Protagonisten ich das tun sollte.
Erst als die Menschen, die vor dem Krieg in Syrien flohen, in großer Zahl nach Deutschland kamen, konnte ich eine konkrete Idee entwickeln. Ich las über ein Jahr alles, was mir in die Finger kam: Geschichten von Flüchtlingen über ihre Flucht, ihr zurückgelassenes Leben, die Angst um Verwandte. Berichte über Nachbarschaften, die auseinandergerissen wurden, über Familien, die sich zerstritten und immer wieder über das Ankommen in Deutschland. Ich las Bücher über Terrorismus, Islamismus und syrische Märchen. Und dann wusste ich: Ich möchte nicht über den Krieg schreiben sondern darüber, was er mit den Menschen macht.
Ich erzählte nur 4 Menschen von dem Projekt, weil ich mir unsicher war, ob ich einen ernsten Krimi überhaupt schreiben kann, in dem mir nicht der Humor den Steiß rettet, wenn eine Szene mal nicht so spannend wird, wie sie sein soll. Und dann schrieb ich mich in eine Sackgasse, aus der ich allein nicht herauskam, vermutlich weil ich so nervös war und an meiner Fähigkeit zweifelte. Zum Glück hattest Du, Mischa, Zeit, ganz kurzfristig eine Hilfsaktion zu starten. Du stelltest die richtigen Fragen, warfst ein paar Ideen in den Raum und zerschlugst den Knoten, in dem mein Hirn sich verstrickt hatte.
Mir fiel das Schreiben dieses Buches schwer. Ich quäle meine Figuren nicht gern, weil ich sie nicht als Figuren wahrnehme, sondern als Menschen. Gern hätte ich Madiha, meine Protagonistin, in eine warme Decke gehüllt, ihr heißen Tee gereicht und sie getröstet. Aber da das Buch ein Krimi werden sollte, ging das nicht. So litt ich mit ihr. Trotzdem empfand ich das Schreiben als erfüllend, weil ich nicht über Flüchtlinge schrieb, sondern über Menschen. Das wurde mir immer wichtiger: Zu zeigen, dass es „die Flüchtlinge“ nicht gibt, sondern dass diese anonyme Masse aus Individuen besteht wie auch „die Deutschen“. Ich sprach mit Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren und ich sprach mit Flüchtlingen. Deren Stärke und Tatkraft, der Wille, hier in Deutschland etwas Neues aufzubauen, nachdem sie alles, was sie in Syrien für sich und ihre Familien aufgebaut hatten, sinnlos zerstört worden war, haben mir unglaublich imponiert.
Als ich mein heimlich entstandenes Werk meinem Mann vorlegte, zeigte sein Daumen nach oben. Der Verlag nahm das Manuskript innerhalb kürzester Zeit an. Und dann bekam „Madiha“ den Friedrich-Glauser-Preis. Der „Ausflug“ in die Ernsthaftigkeit hat sich also bewährt.
Jetzt stellt sich mir die Frage, ob mein nächstes Buch ein ernstes oder ein humorvolles sein wird. Ich bin selbst unentschieden, der Verlag hat auch noch ein Wörtchen mitzureden. Zumindest weiß ich, dass ich es kann – und ich weiß, dass es mir deutlich mehr abverlangt, mich aber sehr bereichert hat. Und damit meine ich nicht das Preisgeld 😉
Und ich bin mir ziemlich sicher, ganz gleich, wie sie sich entscheidet, auch das nächste Buch wird für alle, die es lesen wieder eine Bereicherung sein. 🙂 Aber damit für jeden klar wird, welche Bereicherung „Unter Fremden“ ist, gibt’s morgen noch einen längeren Ausschnitt aus dem Buch hier im Blog.