KunstDruck

Nein, ich meine weder Linol- noch Holzschnitt, noch habe ich Kaltnadelradierungen oder dergleichen im Sinn, obwohl ich gestehen muss, über diese Kunstdruckverfahren zu schreiben, macht eine gewisse sehnsüchtige Lust, sie nach Ewigkeiten mal wieder selbst auszuprobieren oder auch nur nach Zeichenkohle, Kreide und Co. zu greifen.

Die Frau, die in Rauchfäden schwebt, scheint die einzige meiner Radierungen zu sein, von denen wenigstens noch ein Foto existiert

Vielmehr geht es mir um die Frage, braucht Kunst Druck, wie Kohlenstoff gewaltigen solchen braucht, um zum Diamant zu werden, oder brauchen bloß manche Künstler (manchmal?) Druck, um in die Pötte zu kommen?


Dass Liebesleid Dichter (erst) zum Dichten bringt, Komponisten glühend vor unerwiderter Leidenschaft ganze Konzerte zu Papier bringen und Maler erschüttert von Eifersucht, Wut und Raserei oder auch Trauer die ganz großen Werke auf die Leinwand bannen, hört und liest man immer wieder. Und noch viel häufiger höre ich von Kollegen gleich welcher Sparte, dass es bei ihnen mit der Kunst erst so richtig läuft, wenn wenigstens ein Abgabetermin fürs Manuskript, die Vernissage oder Premiere droht.

Die zentrale Figur ist aus einem Sandman-Comic entliehen und zeigt diesen als trauernd um seinen Sohn Orpheus. Ich habe ihn in dieser Ölkreide, meiner letzten, verwendet, um mir meine Trauer über den Verlust einer wichtigen Freundschaft von der Seele zu malen.

Ich kenne beides aus eigener Anschauung. Zeitdruck bannt Ausreden und hilft, sich zu fokussieren, das ganz gewiss. Ob er tatsächlich Kreativität fördert, gar Ideen sprudeln lässt, sei dahingestellt, aber ich möchte nicht wissen, wie viele Ideen verpufft, in fröhlicher Faulheit vergessen worden wären, wäre da nicht diese Abgabe gewesen, hätte man nicht gewusst, dass man für die nächste Ausstellung weitere Werke braucht, wenn man nicht behaupten wollte, rein weiße Wände mit nix wären das Konzept hinter der Kunst.

Kunst als Premierengeschenk an die Mit-Künstler: anlässlich der Premiere von „Die Türen“ gab’s von mir/uns Plakatvariationen für alle Beteiligten – und da herrschte allemal Zeitdruck 😉

Für viele Künstler scheint ökonomischer Druck ein starker Motor, und wenngleich das gelegentlich zu „Masse statt Klasse“ führt, wäre es doch gewiss verfehlt zu behaupten, dabei käme nur Mist raus. Für mich funktioniert das zwar nicht; ich muss nur „markttauglich“ denken, und die Luft ist raus, der Kopf ist leer, und die Schreibblockade feiert Parties. Aber das ist halt mein Ding, für Menschen wie Mozart oder auch Dickens (dauernde, fortlaufende Veröffentlichung von Serienromanen!) und viele, viele Kollegen, die jährlich ein Buch nach dem anderen veröffentlichen, sieht das offenkundig ganz anders aus.

Den Zeitdruck für die „Pissenden Punker“ stiftete ein Wettbewerb  des Kulturhauptstadtjahres 2010, aber verkauft habe ich dieses mittelgroße Acrylbild (70×50) erst in einer späteren Ausstellung.

Dafür frage ich mich zunehmend, womit ich den inneren Druck ersetzen kann. Früher, d.h. die ersten rund 45 Jahre meines/unseres Lebens, war Kunst ein Muss. Irgendwo musste der Druck hin, der durch traumatische Verletzungen und deren Folgen entstand, das Brodeln der Wut auf eine Welt, die ihre Kinder nicht schützt und die Trauer darüber, dass Normalität in so vielen Dingen auf ewig exotisch bleiben wird.

Ohne Worte, so hat es sich so oft angefühlt

Und dann, nach vielen Jahren, in denen wir uns mit all dem auf die verschiedensten Arten künstlerisch wie auch mit Hilfe von Therapeuten auseinandergesetzt hatten, war es plötzlich vorbei. Mit gehöriger Verzögerung stellen wir fest, oh, der Druck ist weg. Wow. Wie schön. Viel leichter läuft das Leben, viel seltener stolpert man in die Abgründe dahinter, und wenn’s doch passiert, krabbelt es sich immer selbstverständlicher wieder aus diesen heraus.

Und die Kunst, was macht das mit der Kunst? Gemalt wird kaum noch. Geschrieben und veröffentlicht hauptsächlich hier und in Kurzgeschichten. Großprojekte wie Romane, Drehbücher, Stücke werden schon noch angegangen, aber zuende gebracht wurde kaum mehr etwas. Vielleicht, in vielen Fällen sicher ganz einfach, weil ich noch nie ein Schnellschreiber war. Romane, Stücke, Drehbücher & dergleichen mehr braucht bei mir Zeit, viel Zeit, muss wärhend des Entstehungsprozess‘ immer wieder hinab ins „dunkle Zwischenlager des Unbewussten“. Aber zugleich … zugleich merke ich halt auch, dass es einen Unterschied macht, ob der Druck da ist oder nicht.

Abgestürzt … eine Art „Toter Engel“ gebannt mit Pigment, Kohle & Kreide in Acrylbasis auf Leinwand.

Natürlich hat sich an meinen (unseren) Fähigkeiten nichts geändert, wieso denn auch. Und gewiss sprudelt die Quelle mit Ideen weiter. Aber es muss nichts mehr ausgetrieben werden, weil man sonst vor Überdruck platzt oder in die Welt geschleudert werden. An sich doch sehr schön. Aber eben auch seltsam, so offen und frei. Ein Grund mehr neugierig zu sein auf das, was danach kommt, wo es uns hinzieht, wenn uns nichts mehr treibt. Und was dabei an „Kunscht“ rauskommt. Denn das da noch was kommt, kleine Formen, große Ideen, dies und das und jenes auch, davon gehe ich doch mal stark aus.

Also – auf – weiter ins Freie, ins Unbekannte 🙂

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