Dass ich in der Essener Premiere „Willkommen„, einer Komödie von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, war, ist schon eine ganze Weile her, denn die fand bereits Anfang Dezember statt. Klasse Bühnenbild, gute Schauspieler und ein neidvoller Stoßseufzer Richtung Frankreich, diese drei Aspekte sind mir davon vor allem noch in Erinnerung.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: im Prinzip funktioniert die Komödie um eine WG irgendwo in einem teuer renovierten Altbau in Essen gut. Anglistikdozent Benny (beweglich: Jan Pröhl) kündigt beim monatlichen WG-Dinner an, ein Jahr nach Amerika zu gehen und schlägt vor, sein Zimmer einer Flüchtlingsfamilie zur Verfügung zu stellen. Auch, wenn sich die meisten am Tisch für gute Menschen mit ethischem Anspruch halten, das zerlegt die WG-Harmonie gründlich. Gut sein, wenn’s andere für einen tun, das wäre ja auch zu billig. Also passiert, was bei solch aktuellen Themen passieren muss – diverse Aspekte desselben (weibliches Unbehagen an muslimischen Männern draußen auf der Straße, Klischeebilder von Marxloher Türken und ganz generell die Frage, wie tolerant begegnet man der Intoleranz am besten?) prallen auf WG-Schablonengeschichten (wer mit wem mal was warum hatte und was davon bis heute gärt) und am Ende steht ein schräger, aber durchaus Lacher erzeugender Happy-End-Scheinkompromiss.
Die WG Küche mit Riesenfenstern (Ausstattung: Ulrich Leitner) wirkt grandios und ist allein mit Licht ganz wunderbar in diese oder jene Stimmung zu versetzen. Die Schauspieler geben allesamt ihr Bestes: Silvia Weiskopf als Sophie, die Fotokünstlerin und Wohnungsbesitzerin von Papas Gnaden, die ihre Übermacht in WG-Dingen nicht ausspielen will und doch nicht anders kann; die schwangerschaftsgeplagte, hormonell schier zerrissene Doro, gespielt von Henriette Hölzel; Halil Yavuz als Achmed, Kindsvater in spe und Marxloher Fahrradwerkstattleiter mit Wut und Liebe im Bauch und Stephanie Schönfeld, die ihre Privatheit in der WG als Schutz vor männlichen Blicken und Bemerkungen der unerwünschten Art mit Verve verteidigt.
Lacher gab’s zahlreiche, nicht zuletzt über die Slapstickabenteuer mit dem Suppentopf voll Schwangerschaftskotze. Und Lacher, bei denen man zwischendrin sogar mal kurz zum Nachdenken kommt, das ist sicher nicht das Schlechteste. Darum geht’s doch in Komödien und wenn das volle Häuser mit glücklichen Zuschauern beschert, um so besser.
Und doch, auch wenn Regisseur Thomas Ladwig und das Ensemble alles richtig gemacht haben — ich denke, da wäre mehr drin gewesen. Ein schärfer Blick, der noch tiefer geht, Figuren, die nicht immer wieder am Rand des Klischees vorbeischrammen und auch mal mitten drin landen, mehr scheinbar böse, ehrliche Dialoge wie der Wutausbruch Doros über den angekündigten Einbruch womöglich nordafrikanischer/muslimischer/Frauen nicht als gleichberechtigt anerkennender Männer in ihre Privatsphäre, das hätte ich mir gewünscht. Das ließ mich mehr als einmal neidvoll innerlich aufseufzen: „Nichts gegen Lutz Hübner, aber wieso haben die Franzosen gleich Yasmina Reza bekommen?“
Kurzum: Ein Besuch in „Willkommen“ schadet nichts. Erst recht nicht, wenn man danach einen in „Kunst“ einplant. 😉