Wer von „Flüchtlingsströmen“, ja von „Heerscharen von Flüchtenden“ spricht, muss sich nicht wundern, wenn ihm die Kunst die Masse der Lebenden Toten oder Monsters of Reality entgegenhält. So geschah’s gestern in der Premiere von Christian Lollickes gleichnamigen Stück in der Essener Casa, dessen Inszenierung die Frage aufwirft, sind’s die Zombies, die den Ekel wecken oder ist man selbst das Ekel?
Sie waren Trash und wurden Popkultur, sind inzwischen Metapher für alles Hirnlose, Sichselbstfressende oder einfach auch nur das Andere, das Entmenschlichte, das, was in TV-Serien als Masse angreift und von den ‚echten‘ Menschen als (ansteckende, tödliche) Gefahr unschädlich gemacht werden darf, ja muss: Zombies. Sie waren Menschen wie wir und wurden Menschenfresser – sie sind tot und gieren nach Leben – man könnte endlose Metaphernreihen und Assoziationsketten aufstellen. Muss man aber nicht, man kann statt dessen einfach den höchst gekonnten Umgang damit in der Inszenierung von Jörg Buttgereit in der Essener Casa besichtigen.
Eine Shopping Mall, noch so eine beinahe archetypisch-moderne Metapher, ist der Ort, an dem über das Schicksal der Flüchtlinge auf ihrem Weg von Afrika nach Europa und die Ängste der Europäer verhandelt wird. Die gute alte Zeit der Achtziger, die Konsumverheißungen von damals, als man noch glauben könnte, alles würde immer besser werden und sich zugleich in immer mehr apokalyptischen Visionen (von den Romeros Zombies ja nur einen Ausschnitt darstellen) aufdrängten – all das fängt Susanne Priebs Bühne mit ihren Details und den herrlich-hässlichen Kostümen bis hin zur künstlichen Palme ein.
Der perfekte Ort, damit sich die drei Zombies – Silvia Weiskopf, Alexey Ekimov und Axel Holst – in Worten wie Taten selbst zerfleichen können über der Frage, wie auf die Flüchtlinge reagieren, die übers Mittelmeer zu fliehen versuchen und allzu oft genau dort ihr tragisches Ende finden? Woher die Empathie nehmen, wie ‚lange Gefühle‘ entwickeln und wohin dabei mit all den eigenen Ängsten? Während sie sich selbst die Gedärme rausreißen, um sie zu essen oder zu verfüttern, entsteht aus allerlei Versatztextteilen so etwas wie ein Gedankenbrei, ein Ängstemus der schon fast unentrinnbaren Art. Kunst mischt sich mit Ekel, und die Dramaturgie bietet keinen Ausweg: denn dieses Stück funktioniert nicht nach den Gesetzen der üblichen Dramaturgie, es hat einen Anfang und ein Ende (ein wunderbar durchkomponiertes mit eigenem Abspann, der die Illustrationen von FuFu Frauenwahl konsequent zuende bringt), aber dazwischen gibt es keine Geschichte im eigentlich Sinne. Man wird als Zuschauer nicht Zeuge einer Erzählung, man fühlt sich vielmehr so, als sei man mitten in eine multimediale Performance geraten und sei all den Emotionen schon fast unmittelbar ausgesetzt.
Ja, es hat Längen – so hätte es die ewig lange, höllisch laute Musiknummer mit stehenden Schauspielern vor Songtextprojektion im Stroboskoplicht nicht und schon gar nicht in der Länge gebraucht und manche Schleife, manche Wiederholung war ebenfalls nicht vonnöten. Aber alles in allem scheint’s mir ein sehr dichtes ‚Gesamtkunstwerk‘, eine Kunsterfahrung, die man trotz gelegentlichem Ekelübermaß nicht verpassen sollte. Und sei’s nur, um mir hier hinterher per Kommentar die eigene Meinung, das eigene Erleben dieser „Lebenden Toten“ mitzuteilen. 😉