Kopfmusik

Wenn man in die Oper geht, sollte man tunlich nicht zu viel nachdenken – allein der oftmals hanebüchenen Libretti wegen. Der Kammermusik des Artemis Quartetts dagegen kopflos zu begegnen, wäre mindestens so fatal. Streichquartette scheinen dazu angetan, selbst Laien wie mich so manches über Komposition zu lehren oder doch über diese Kunst nachdenken zu lassen.

Wiederholung und Variation, Themen, die von einem zu anderen Instrument weitergereicht und dabei weiterentwickelt werden, Dialoge zwischen den Instrumenten und dazu auch noch die Gesichter und die Körper der Musiker — all die Bewegung und dazu die Bewegung des Denkens. Wie viel all das von Kammermusik ausmachen würde, war mir im Vorfeld nicht klar. Kein Wunder, war es doch mein erstes Konzert dieser Art am vorigen Wochenende in der Philharmonie Essen.

Leos Janáceks „Kreutzersonate“ verlangte den Musikern viel ab und bot zugleich die teils atemberaubende Erkenntnis, dass Geigen, Bratschen und Celli durchaus nicht nur Streich- und manchmal auch Zupfinstrumente sind, sondern überdies Percussion- und gar Synthesizerqualitäten besitzen.

In Ludwig van Beethovens Streichquartett Nr. 7 dagegen schwingt für mich noch viel höfisches Zeremoniell in der Musik mit in der formalen Strenge, dazu ein eigenartiger Sinn für das Erhabene. Das klingt selbst in den Passagen mit, die ich ansonsten geradezu fröhlich nennen würde.

An Edvard Griegs Streichquartett g-Moll dagegen verwunderte mich zunächst, wie vertraut es sich anfühlte, obwohl ich sicher bin, außer seiner Peer-Gynt-Suite nichts von ihm zu kennen. Ist er so „wiedererkennbar“ oder mir nah? Vielleicht auch beides, denn selbst wenn ich dieses Konzert tatsächlich mehr vom Kopf als vom Bauch her wahrnahm, war dieses letzte Stück mir doch in gewisser Hinsicht am nächsten.

Und das, obwohl ich mich ganz allgemein wunderte, dass Streichmusik die Synästhesien bei mir bestenfalls am Rande berührt – zu wenig Rhythmus, ist es das? Was wiederum zum Nachdenken darüber anregte, was genau die Strukturen und Muster in der Musik (oder auch der hörbaren Welt) sind, auf die „meine“ Synästhesien reagieren.

Wie dem auch sei, es war eine interessante Erstbegegnung mit der Kammermusik und dem Artemis Quartett. Dass dies zugleich sein erster Auftritt in neuer Formation war, hätte ich nie bemerkt, hätten nicht Plakate und Programme darauf hin gewiesen. Und dass Anthea Kreston mit der zweiten Geige „die Neue“ war, darauf wäre ich nie gekommen. Dafür erschienen alle vier – Kreston, Vineta Sareika (erste Geige), Eckart Runge (Cello) und Gregor Sigl (Bratsche) – schlicht zu vertraut, so ganz selbstverständlich mit sich, den anderen und der Musik in Einklang.

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