Was bleibt, wenn ich nach über drei Wochen auf die Premiere von Charles Gonouds Faust, inzeniert von Philipp Stölzl im Essener Aalto-Theater als Koproduktion mit der Deutschen Oper in Berlin zurückblicke?
Erstaunlich viele, erstaunlich frische Eindrücke: Tatsächlich beginnt es mit einer Reihe von Kontrasten – das Grau der Bühne mit ihrem gigantischen „Turmsockel“, um den sich die Drehbühne praktisch ohne Unterlass dreht und die zuckergussbunten Kostüme, die puppenhaften (aber gar nicht verspielten oder freundlichen) Masken wären ein solcher. Französischer Pathos und der Wille zur wilden Leidenschaft, zur Lebensgier einerseits und urdeutscher Grübelgelehrter andererseits wäre ein weiterer. Den allerdings entschärft der Regisseur, der den meisten Menschen wohl wegen seiner Madonna-Videos und seiner opulenten Medicus-Verfilmung bekannt sein dürfte, indem er beherzt streicht: Fort mit allzuviel Gelehrsamkeit, fort mit des Pudels Kern und Auerbachs Keller! Statt dessen Vorhang auf für einen höchst showtauglichen Verführer namens Méphistopélès (hörens- und sehenswert: Alexander Vinogradov) und sein glitzenders Zuckerburli auf Freiersfüßen, zu dem Faust (Abdellah Lasri) mutiert, nachdem er mit Teufels Hilfe dem Tod nochmal von der Schippe springt.
Dann der Kontrast zwischen der Steifheit der Gesellschaft, kongenial unterstrichen durch das vermeintliche „Puppenkarussel“, auf dem menschengroße Figuren lebensecht in kennzeichnende Posen eingefroren kreisen — bis die Figuren sich beim X-ten Tableau plötzlich bewegen und man begreift, all das sind lebende Bilder, die Artisten würdig wären. Chapeau!
Aber, natürlich, dies ist eine Oper, eine französische dazu, und es geht um Liebe und Schande, um Leidenschaft und Unschuld – und mittendrin sie: Marguerite (grandios: Jessica Muirhead).
Wie oft dachte ich schon in der Schauspielfassung, dass Goethe der tragischen Geschichte der Kindsmörderin überhaupt nicht gerecht wird – und endlich mit Muirhead, Gonoud und Stölzl erfährt Gretchen die Aufmerksamkeit, bekommt sie die Rolle, die ihr zusteht.
Doch die berührendste Figur des ganzen Abends ist ein anderer, vergeblich Liebender, jemand, der doch nie aufgibt: Siébel, dem Karin Strobos ihre Stimme leiht.