Gestern lief im Essener Aalto-Theater zum letzten Mal in dieser Spielzeit Anton Dvoraks Oper Rusalka in der so fantastischen wie feministischen Inszenierung der niederländischen Regisseurin Lotte de Beer – und ich kann nur sagen, einen solchen Opernabend habe ich noch nie erlebt.
Lotte de Beer gelingt etwas, das ich bislang nur von geglückter Theaterregie kannte: Einen Text, ein Werk sowohl als Ganzes als auch im Detail zu interpretieren; ihm einen Rahmen zu geben, der sowohl Bedeutung schafft als auch ästhetisch wirksam ist und damit einen neuen, eigenständigen Blick auf es zu ermöglichen.
Ihre Regie führt nicht einfach weg von den märchenhaften Vorlagen des Librettos, von der Nixenidylle „Undines“ und der „Kleinen Meerjungfrau“, sie nimmt diese als Metaphern für die gesellschaftliche Zurichtung der Frau durch den Mann bzw. die männlich dominierte Therapie der vermeintlich hysterischen Frau. Ganz im Stil der Zeit Dvoraks (die Oper wurde 1901 uraufgeführt) wird Rusalka also von „Doktor Freud“ mit Rede- und Wasserkur behandelt und endet, als sie sich partout nicht fügen will — denn die aus Liebe menschgewordene Nixe will auch nach dem Liebesverrat nicht von der Liebe lassen – in der Zwangsjacke.
So entsteht eine schlüssige, teils unerhört bezaubernde, teils geradezu beklemmende psychologische wie feministische Deutung, die Dvoraks spätromantischem Werk weitere Ebenen öffnet. Dem entsprechen die verschiedenen Ebenen der Bühne ebenso wie die unterschiedlichen Beobachter: die Nixe Rusalka, die den Prinzen sieht und sich verliebt; die menschgewordene & stimmlose Rusalka, die den Menschen fremd bleibt und sie beobachtet wie sie von ihnen beobachtet wird; und immer wieder Dr. Freud, der stumme, melancholische Arzt, der geduldig seine Patientin beobachtet und doch nicht sehen kann, was sie im Innersten bewegt – nämlich die Handlung der Oper, der Verlust von Unschuld, Liebe und schließlich ihrer Selbst.
Und dazu dann Dvoraks Musik, die so unmittelbar wirkt in all ihren Nuancen und Facetten, sei es komisch, dramatisch, romantisch oder, ganz am Ende, zugleich tragisch wie erlösend! Das Zusammenspiel der drei Elfen Christina Clark, IIeva Prudnikovaite, Marie-Helen Joël, das von heiter über absurd bis melancholisch reicht. Die Vielschichtigkeit des Wassermanns (Almas Svilpa), die Spielfreude der Hexe (Lindasy Ammann), die Sprunghaftigkeit und Tragik des Prinzen (Jeffrey Dowd) — und allen voran natürlich Sandra Janušaite als Rusalka. Eine Sängerin, die auch in den vielen stummen Momenten ihre Rusalka überaus beredt spielt, das war ebenfalls (für mich) eine Überraschung.
So viele große Emotionen, so viele starke Bilder (Ausstattung: Clement & Sanôu), und damit die erste Operninszenierung, die ich nicht nur uneingeschränkt weiterempfehlen möchte, sondern die ich liebend gerne ein zweites Mal sehen und hören möchte. Was für ein Spielzeitausklang …!