Als Mensch, der die Literatur als Sprachkunst liebt und Science Fiction zu schätzen weiß, ist man Enttäuschungen gewohnt. Wie oft schon las ich hochgelobte SF-Literatur und dachte enttäuscht, „was für eine schöne Idee – aber warum hat der Autor sie niemand erzählt, der tatsächlich schreiben kann?!“ Vielleicht verderben die Klassiker wie Asimov, Lem, LeGuin & Doris Lessing & Co. den Lesergeschmack, vielleicht haben sie auch die Latte zu hochgelegt, das Feld zu weit gesteckt? Solche Fragen stellte ich mir bisher. Bis ich endlich Ted Chiang begegnete und seinen bei Golkonda erschienen, nur allzu schmalen Erzählband Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes las.
Die nur fünf Erzählungen spannen einen weiten Bogen: Es beginnt mit dem Turmbau zu Babel, der so viel mehr ist als eine Wiedererzählung der biblischen Geschichte oder gar dem Versuch, das altbekannte Motiv mit Details auszufüllen. Was erst schlicht und beinahe altbekannt beginnt, verwandelt sich mehr und mehr in die Zeichung eines völlig unerwarteten, neuen Weltbildes. Als ob sich ein Wissenschaftler das Bibelmotiv vornimmt, um dazu einen Kosmos zu entwerfen, in dem das Projekt des Turmbaus zugleich gelingen und scheitern kann, ja die Kombination aus beidem unvermeidlich ist.
Schien mir in dieser ersten Erzählung die Sprache noch eher schlicht bis unauffällig (in manchen räumlichen Gegebenheiten sogar schwach bis manchmal ungewollt brüchig, was aber natürlich auch an der Übersetzung liegen kann), wurde deren Besonderheit bzw. Chiangs besonderer Umgang mit ihr in Geschichte deines Lebens augenfällig. Eine Geschichte in zwei Erzählsträngen auf zwei Zeitebenen, bei denen sich die eine mit der Begegnung einer Linguistin mit Außerirdischen befasst, während sie sich in der anderen an ihre Tochter erinnert. Bloß: Während die Erforschung der Sprache und damit des Denkens der Außerirdischen im erzählüblichen Präteritum aus Sicht der Ich-Erzählerin geschildert wird, richtet sich der zweite Strang im Du an die Tochter, wobei diese Erinnerungen überdies im Futur erzählt werden. Anfang fällt das noch nicht weiter auf, dann erscheint es eine Art Manierismus, aber man spürt zugleich, da steckt mehr dahinter. Und, in der Tat, diese Geschichte kann nur auf diese Art erzählt werden – warum, das mag ich jedoch nicht verraten, um niemand die Entdeckerlust zu nehmen!
Die titelgebende Geschichte ist wiederum sprachlich schlichter (oder wohl eher: zurückhaltender), besticht jedoch durch etwas anderes: Ähnlich der ersten werden hier religiöse Motive – Engelserscheinungen und die Notwendigkeit, Gott zu lieben – mit wissenschaftlicher Akribie dargestellt. Mehr noch, Chiang erschafft ein Universum, in dem Engel und Wunder Tatsachen sind, offensichtlich für jedermann, und dennoch bleibt Gott bzw. der Glaube ein Geheimnis, behält die Spiritualität ihre Tiefe, ohne sich aufzudrängen. Man merkt schon – ich als in christlichen Motiven bewanderte Nichtchristin, Nichtgläubige im religiösen Sinne, die sich an manchen Tagen als spirituell veranlagte Atheistin bezeichnen würde, an den meisten jedoch jeder Festlegung in diesen Dingen ausweicht, gerate ins Wanken. Und bin alles andere als abgestoßen oder genervt, sondern viel mehr fasziniert, wie virtuos sich da ein Autor auf Motive einlässt, die scheinbar untrennbar mit festgelegten, tradierten Deutungen (die genau das sind, was mich an Religionen irritiert) verbunden sind, und die er ohne Zögern, geradezu mit leichter Feder dennoch in ganz neue Zusammenhänge setzt.
In Der Kaufmann am Portal des Alchemisten passiert etwas ganz ähnliches, bloß dass es hier um die Kombination orientalischer Fabulierkunst, märchenhafter Motive aus 1001 Nacht mit einer höchst raffinierten Zeitreisengeschichte geht – ganz wunderbar!
Für mich der schönste dieser fünf Erzählkleinode ist jedoch Ausatmung, eine Geschichte, die in der Zartheit, mit der hier eine zugleich ganz fremde Welt voller mechanischer Menschen erzählt wird, geradezu überwältigend ist. Vertrautes steht direkt neben Ungeheuerlichem, etwa wenn der Ich-Erzähler, der dem tödlichen Geheimnis seines Universums auf der Spur ist, genauestens schildert, wie er sein eigenes Gehirn auf der Suche nach der Funktionsweise seines Gedächtnisses seziert. Das Ende der Geschichte jedoch – die das Ende von Geschichte an sich sein könnte – berührt in seiner Traurigkeit wie seiner Hoffnung, mit der der Leser plötzlich zum Du des vergehenden erzählenden Ichs wird, zutiefst.
Und so habe ich letztlich an diesem Buch nur eines auszusetzen: dass es viel zu kurz ist.