Wiedergelesen: Jacob’s Room

Wer an Virginia Woolf denkt, wird womöglich To the Lighthouse, Mrs. Dalloway oder auch Orlando im Kopf haben. Sehr belesene oder akademisch gebildete Menschen mögen sich darüber hinaus an The Years und The Waves erinnert fühlen, während feministisch orientierten Schriftstellerinnen vielleicht als erstes A Room of One’s Own einfällt. Dass ich zuletzt auf Jacob’s Room stieß, lag vor allem daran, dass ich Anfang des Monats einen Schreibworkshop „1914-1918“ hielt — und dass bei mir dieser Roman untrennbar mit dem ersten Weltkrieg verbunden ist. Dabei kann ich mich nicht mehr erinnern, wann und unter welchen Umständen ich Virginia Woolfs dritten Roman, von dem es manchmal heißt, hier fände sie zum ersten Mal zu ihrer Stimme, ursprünglich begegnete: War das noch während meines Grundstudiums in Bonn oder doch erst danach, hier in Essen? Überhaupt, was war der erste Roman von ihr, den ich je als?

Jacob’s Room erzählt aus dem Leben eines jungen Mannes, der im ersten Weltkrieg fällt – vermutlich in Flandern, aber vielleicht ist das nur eine Assoziation, die sich aufgrund des Namens Jacob Flanders einstellt? So oder so würde es passen, denn dieser Roman entfaltet sich nicht einer Handlung, einer stringenten Geschichte folgend, sondern in losen, assoziativen Fäden, die vom Gewebe eines allzu kurzen Lebens in den Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen der anderen haften bleiben.

Jacob selbst tritt zwar immer mal wieder selbst in Erscheinung und wir folgen ihm sogar auf seiner Europareise bis nach Griechenland (die Unschuld des Bildungsbürgertums vor dem ersten Weltkrieg dürfte sich mit ihrer Neugier und der Verehrung für den Baedeker die Waage gehalten haben) und auch in sein Denken hinein. Doch vieles bleibt im Dunkeln – etwa, wie er in den Krieg und dort dann zu Tode kommt.

Als seien die Erinnerungen der anderen der Abdruck seines Daseins, eine Leerstelle oder auch eine leere Gussform. Nichts abgeschlossenes, das hier beginnt und dort endet, sich dazwischen mit sauberen Wendepunkten und dem einen oder anderen Höhepunkt entwickelt. Einfach ein junges Leben – sicher auch gefangen in den Vorurteilen seiner Zeit -, das viel zu früh endet. Lang bevor sich auch nur abzeichnen könnte, wohin sein Leben ihn hätte führen können, ist es vorbei.

Und Virginia Woolf schreibt darüber zugleich mit leichter Feder wie mit äußerst Präzision. Nur so gelingen Ellipsen wie diese:

Rose Shaw, talking in rather an emotional manner, to Mr. Bowley at Mrs. Durrant’s evening party a few nights back said, that life was wicked because a man called Jimmy refused to marry a woman called (if memory serves) Helen Aitken.

Both were beautiful. Both were inanimate. The oval tea-table invariably separated them, and the plate of biscuits was all he ever gave her. He bowed; she inclined her head. They danced. He danced divinely. They sat in the alcove; never a word was said. Her pillow was wet with tears. Kind Mr. Bowley and dear Rose Shaw marvelled and deplored. Bowley had rooms in the Albany. Rose was re-born every evening precisely as the clock struck eight. All four were civilization’s triumphs, and if you persist that a command of the English language is part of our inheritance, one can only reply that beauty is almost always dumb. Male beauty in association with female beauty breeds in the onlooker a sense of fear. Often have I seen them – Helen and Jimmy – and likened them to ships adrift, and feared for my own little craft. Or again, have you ever watched fine collie dogs couchant at twenty yards‘ distance? As she passed him his cup there was a quiver in her flanks. Bowley saw what was up – asled Jimmy for breakfast. Helen must have confided in Rose. For my own part, I find it exceedingly difficult to interpret songs without words. And now Jimmy feeds crows in Flanders and Helen visits hospitals. Oh, life is damnable, life is wicked, as Rose Shaw said.

Das ist so ziemlich alles, was in diesem Roman über Helen und Jimmy geschrieben steht, und zugleich ist es eine präzise Beschreibung des Lebens, des Alltagsdaseins auch, das der erste Weltkrieg so oder so ein für allemal beendet.

Ein Buch aus lauter Miniaturen, die oftmals für sich stehen könnten, die aber als Ganzes ein komplexes Puzzle darsteööen und zugleich das Lebensgefühl im Großbritannien Anfang des 20. Jahrhunderts einfangen. Und überdies ein Buch, das man gewiss mehr als einmal wiederlesen kann, um es immer wieder neu zu entdecken.

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