Franz Kafka, der Meister des geschlossenen Textes, der sich der Interpretation verweigert wie Eschers in sich verdrehte Treppen. Einen Text von ihm die Bühne zu bringen, muss so reizvoll wie schwierig sein. Die Essener Inszenierung (Regie: Moritz Peters) seines Romanfragments Der Prozess ist nicht nur zumeist ausverkauft, sondern überwiegend sehr gelungen. Und das, obwohl sie zwangsläufig schwierig und gelegentlich sperrig ist.
Im Grunde kann man all dies bereits an Lisa Maria Rohdes Bühnenbild erkennen: Vor einem schmalen Lichtschlitz, der weder Ferne noch Tiefe oder gar den Blick zu einem Horizont, eben ins Freie ermöglicht, erstreckt sich eine holzvertäfelte Schräge. Daneben stehen auf jeder Seitenbühne nackten Kostümstangen (Kostüm: Christiane Hillinger), an denen sich die Schauspieler für ihre teils zahlreihen Verwandlungen bedienen. So ist alles von Anfang zugleich reduziert und doch vieldeutig – eben ganz Kafka, wenn man so will.
Denn was wie schräger, aber fester Boden scheint, wird im Lauf des Stückes bald schon zum bedrohlichen Untergrund, den unübersichtlichen Geheimgängen des geheimen Gerichtes, welches Josef K. (höchst überzeugend: Jörg Malchow) grundlos und ohne Erklärung von Gründen anklagt und den Prozess macht. Ein Prozess, der so absurd wie unausweichlich ist. Alles an ihm ist geheim. Und doch zieht er K. erst aus seinem alltäglichen Leben, dem Glauben an Recht und Gesetz und schließlich in seinen tödlichen Bann. Ihm geht der Boden unter den Füßen verloren – und das zeigt diese Bühne sehr wörtlich, sehr deutlich: Mehr und mehr Bodenplatten werden entfernt, immer weiter müssen die Darsteller springen, wenn sie auf feste Insel gelangen, Standpunkte deutlich machen wollen. Am Ende bleibt nur der vergebene, vergeblich Balanceakt auf dem darunterliegenden Gerüst aus Stahl – ein Gitter, am Boden. Das Leben ein Gefängnis, schon immer, jedenfalls lange bevor es irgendwer erkennt.
Das wäre eine Art, diese Inszenierung auf dieser Bühne zu sehen und zu beschreiben. Die andere kommt aus dem Text, Kafkas Text, der teils von den Darstellern tatsächlich szenisch gespielt wird – etwa bei K.s Geburtstagsfeier in der Bank mit Ständchen der Kollegen (darunter der auch als Onkel brillante Thomas Büchel) und zum Abschluss einem Fechtmatch mit dem Chef (in all seinen Rollen des Abends schon fast artistisch-körperbetont: Johann David Talinski) oder den Begegnungen von Josef K. und Fräulein Bürstner (Floriane Kleinpaß), die erst seine Vermieterin, dann die Gehilfin seines Anwaltes (absurd-komisch und mit großer Präsenz in dieser Rolle wie als Richter etc.: Axel Holst) und schließlich dessen wie K.s Geliebte wird. Teils wird immer wieder erzählt, fast so, als sei es Prosa, die dann jedoch etwas chorisches bekommt, wenn Sätze erst erzählt und dann von K. als Dialog gesprochen werden.
Manches davon ist manches mal zu viel des Guten. Dann steig selbst ich, die ich doch Kafkas Sprache liebe, ganz ungewollt aus und finde mich mehrere Sätze später ohne Zusammenhang wieder. Manches – wie etwa die erste Gerichtsuntergrundszene, bei der die Schauspieler weitgehend unter der Schräge agieren und dies per Livevideo projeziert wird – dauert einfach zu lang. Da hab ich längst verstanden, was das soll, worauf es hinausläuft und warte als Zuschauer nur noch darauf, dass es weitergeht.
Im Großen und Ganzen jedoch ist dieses Inszenierung sehr gelungen und könnte in einem Livebühnenduden tatsächlich als theatrale Erklärung, was denn nun kafkaesk bedeutet, abgebildet, aufgezeichnet sein. Von daher kann man allen, die Kafka lieben oder ihn kennenlernen wollen oder auch jenen, denen Theater sonst vielleicht manchmal zu gradlinig erscheint, nur raten: Schauen Sie, wann’s wieder Restkarten gibt. Es lohnt sich.