Gewiss ist das hier auch ein Stück weit Ablenkung von meinen eigenen Schreiben, das derzeit aus einem seltsamen Wechsel von Schreibanfall und Schrreibtischumschleichen oder eben anderen Ablenkungsmanövern besteht. Aber da mich meine Krimilektüre gerade doppelt überrascht hat, muss ich eben doch zwei, drei Gedanken zu Edgar Allan Poes Monsieur Dupin und Jeffery Deavers Praying for Sleep loswerden.
Deavers Roman hab ich ein wenig wie ein Zaungast gelesen. Keine der Figuren kam mir sonderlich nah, keines der Schicksale interessierte mich wirklich – zumindest anfänglich bzw. über weite Strecken. Sicher, der Mann kann sehr plastisch schreiben, dabei nahe- wie fernliegende Tätigkeiten (mir läge Rosenzucht vermutlich weit eher als die Jagd oder das Auspüren von Menschen mit Bluthunden, aber ich bezweifel doch, dass ich das Rosenzüchten begänne, gewönne ich heute abend im Lotto ;-)) so interessant schildern, dass man en passant eine Menge lernt. Und, ja manchmal nervt er auch – ich hab in diesem Buch bis zum Schluss nicht verstanden, wozu es gut sein soll, dass er gelegentlich für kurze Abschnitte im Präsens erzählt.
Aber, wie gesagt, all das würde es kaum rechtfertigen, 400 Seiten und mehr zu lesen. Doch die Gestalt des Schizophrenen Michael, der hier von allen gejagt wird, und all das, was er über seine Krankheit und den Umgang mit ihr bis in die 1990er hinein zu erzählen hat, machte die Sache schon interessanter.
Was mich aber völlig überraschte und zugleich komplett von dem Buch und Deavers Meisterschaft in Sachen Plotbau und Dramaturgie überzeugte, war das Ende. Das Blatt wendet sich am Ende zugleich so radikal wie schlüssig, ja, fast genau so wie Jane Austens Emma. Und ähnlich wie bei ihr würde man ihn womöglich gleich ein zweites Mal lesen. Allein, um zu sehen, wie sich das Buch mit dem Wissen um "die Wahrheit dahinter" liest. Und das bekommt bei mir so leicht kein Roman, erst recht kein Krimi oder Thriller hin.
Edgar Allan Poes Kriminalerzählungen rund um Monsieur Dupin bieten sich für so etwas ganz und gar nicht an. Dass sie in zwei bis drei Teile – eine Art Prolog über Logik und Analyse gefolgt von der Schilderung des Rätsels, der mysteriösen Vorgänge, eben des Verbrechens und schließlich die Auflösung bzw. die Erklärung, wie der geniale Detektiv allein dank seiner überragenden analytischen Fähigkeiten – zerfallen, ist Absicht, Methode, und letztlich weder spannend noch überraschend. Hier geht es nicht einmal um Mitraten wie bei einem klassischen Whodunnit – man kann nur zuschauen und staunen. Im Grunde genommen nimmt er mit seinem Ich-Erzähler und Dupin die Doyl’sche Aufteilung von genialem Detektiv (Sherlock Holmes) und weniger intelligenten Erzähler (Dr. Watson) voraus — allerdings mit einem Unterschied: Bei Conan Doyle entsteht ein besonderer Reiz daraus, dass man als Leser beim Rätsellösen bald Watson voraus ist, aber stets Holmes unterlegen bleibt (was häufig dadurch erreicht wird, dass Holmes/Doyle Informationen vornenthält). E.A. Poe demonstriert in seinen Geschichten vor allem den überlegenen analytischen Geist Dupins.
Dennoch – und obwohl ich diese Geschichten eher mürrisch, halb gezwungenermaßen im Rahmen der Vorbereitungen für ein neues Krimiseminar an der Uni zur Hand nahm – war ich angenehm überrascht. Poe mag kein Spannungsautor sein, aber er versteht sein Handwerk als Schriftsteller. Und überdies ist es hochspannend zu lesen, welche Möglichkeiten und welches Wissen in kriminologischen Belangen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts vorhanden war.
Tja. Und nun sollte ich mal zusehen, dass ich der Spannungsliteratur des 21. Jahrhunderts noch den einen oder anderen Satz hinzufüge.
Verflixte Logik
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