„Ist das ein Traum? Bin ich bei Sinnen?“, fragt sich Prinz Friedrich von Homburg in Heinrich von Kleists gleichnamigen Schauspiel wieder und wieder. Die Essener Inszenierung, mit der gestern die „Ära Tombeil“ begann, gibt darüber wie über viele andere Fragen, die das Stück aufwirft, keinen Aufschluss. Und ich sitz nun da und frag mich, was soll’n das?
Zugegeben, allein für Kleists Stück ist diese Frage kaum eindeutig zu beantworten: Verteidigt der Dichter die Staatsräson und den ihr auf Leben und Tod geschuldeten Gehorsam oder prangert er deren Grausamkeit gegen den ungehorsamen Träumer Homburg an? Überhaupt, mit wem soll das Publikum sich wann identifizieren? Allein die Wandlungen, die der Prinz durchläuft: Erst könnte man ihn für einen arroganten Idioten halten, der von Liebe und Schlachtenruhm träumt, Befehle einfach missachtet und lieber auf eigene Faust zum Sieg stürmt. Dass er das Todesurteil, das darauf daraus folgt, nicht glauben mag, weil er sich der Gnade des Onkels zu sicher ist, macht ihn weder sympathischer noch intelligenter. Der Sturz in tiefste Verzweiflung, der der Erkenntnis folgt, Gnade ist so nicht, das Winden und Flehen, überdreht die Figur ins andere Extrem. Wenn er sich dann anschließend ins Spiel des Onkels (wenn es denn ein Spiel ist, das ist bei Kleist ja doch die offene Frage) fügt, um der Kriegerehre willen lieber das Todesurteil anerkennt, weil es ja nun mal stimmt, dass er gegen kurfürstlichen Befehl handelte, quillt Pathos gewissermaßen aus jeder Ritze, jeder Naht — und doch, vom Stück her, als dramaturgischer Schachzug hat das was … erst recht, in der letzten, gänzlich ent-rückten oder auch ungeheuer bösen Wendung, wenn statt der Todesschüsse ihn der Lorbeer ereilt und des Prinzen Frage „Ist es ein Traum?“ unbeantwortet verhallt und nur zu vermuten ist, das war es jetzt mit dessen Restverstand.
Nun denn. Das ist Kleists Stück, ein Brocken, gewiss auch schwer ins Heute zu holen (200jähriges Jubiläum hin oder Zentralabitur her). Christian Hockenbrink jedoch bietet über einige Regieeinfälle hinaus keinen Interpretationsrahmen, lässt kein großes Ganzes aus der auf anderthalb Stunden gekürzten Stückfassung entstehen.
Ja, okay, das Bild mit den Blumenbeeten, die Erde, die Garten, Schlachtfeld, Grab etc. sein kann, das mag angehen. Immerhin etwas lebendiges im ansonsten braven und irgendwie statischen Bühnenbild (Mascha Deneke) aus Rigs plus Tuchskizzenpalästen zum Hochziehen wie Runterlassen. Doch was soll das Gehampel und Gehopse auf Feldherrenhügelchen, was will mir die Regie mit den Klamauknummern mit Aktenordnern beim Kriegsgericht sagen? Beliebigkeit, wohin man blickt.
Tja, und so frag ich mich nach dieser Premiere – die, wie die meisten solchen, doll beklatscht wurde, aber nun ja, wer weiß, wer da auf was spekulierte und wen bejubelte – was soll’n das? Ein sperriges Stück in mäßiger Nichtinszenierung als Auftakt einer neuen Intendanz – ich hoffe bloß, da kommt doch noch was besseres, interessanteres nach. Wär schade ums Essener Grillo-Theater und sein Publikum, das sonst nach Heyme, Bosse und Weber um den „Klassenerhalt“ zittern müsste …
Was soll’n das?
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