Schon seit Stunden zieht es mich zum Blogg, allein, das Telefongeklingel hielt mich ab. Dabei ist das Ziehen an sich überraschend oder doch unzeitig – aber das mag wohl eine Nebenwirkung sein, wenn ich Herta Müller lese. Und damit mein Hirn nun wieder frei wird für meine Worte, mein Schreiben, muss ich mich eine Runde über ihr merk-würdiges Herztier verbreiten.
Bis sie im letzten Jahr den Nobelpreis für Literatur bekam, war sie für mich lediglich ein Name und Gesicht – ersterer so häufig, so allgemein, das er kaum für die Unterscheidung eines Indviduums zu taugen scheint, letzteres auf den ersten Blick unverwechselbar. Gelesen hatte ich sie bislang jedoch noch nicht.
Das ist eben so eine Sache mit den ernsthaften Autoren, den lebenden Klassikern, gewissermaßen. Jelinek auf der Bühne ist okay für mich, zum Selberlesen aber ungeeignet. Sie macht mich ungeduldig. Christa Wolf las ich als ganz junge Frau und war fasziniert. Spätere Versuche ermüdeten mich auf seltsame Art. Auch ihr begegne ich nun lieber durch den Regie-Schauspiel-Filter des Theaters. Ingeborg Bachmann, Friederike Mayröcker und ihre Schwestern und Brüder – irgendwie kam es mir oft beim Lesen so vor, als seien sie einerseits Familie im Geiste, große Geschwister halt, andererseits blieb das Verhältnis genau deshalb meist schwierig oder kaum greifbar.
Jetzt also Herta Müller. Hätte ich nicht das Fernsehinterview mit ihr gesehen, das auf der letzten Frankfurter Buchmesse entstand, wer weiß, ob ich Herztier gelesen hätte. Aber die Frau, die auf dem Sofa im Bildschirm saß, sich zugleich von der großen Öffentlichkeit hinter der Kamera scheu zu verstecken suchte und sich doch ganz ihrem Interviewpartner (sein Name ging im Nichts meines Namensgedächtnisses verloren, sein Gesicht und seine Brille blieben haften) zuwandte, nahm mich gefangen. Wie sie nach den exakten Worten suchte, um möglichst treffend, ja perfekt den Gedanken auszudrücken, der ihre Antwort auf sein Fragen war – das hat mich in Atem gehalten. Das hat mich so sehr begeistert, dass eine Freundin darüber das Buch kaufte, las und nun mir lieh.
Herztier. Allein das Wort. Rumänien samt Diktatur und Banater Schwaben, das war bislang nichts, was irgendeine Nähe zu mir hatte, zu dem ich einen Bezug hätte. Aber das ist auch gar nicht wichtig, wichtig ist die Poesie und Exaktheit, mit der Herta Müller dem Alltag in der Unterdrückung nachspürt. Nie klang die Schere im Kopf genauer nach dem, was sie ist – klapperndes metallenes unausweichliches Zerschneiden von Gedanken und Beziehungen. Das habe ich so noch nie gelesen. Und selbst, wenn mir ihre Themen den Rest meines Lebens fern bleiben sollten (was ebenso so wie auch anders ausgehen kann), es war gut, sie zu lesen. Ihre Worte, ihre Sprache berührt und bereichert mein Worthirn und wohl auch mein Herztier …
Herztier mit Worthirn
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