Die letzten Tage habe ich viel zu viel Zeit mit Warten verbracht – hauptsächlich darauf, dass der nervtötende und weitgehend behandlungsresistente Spannungskopfschmerz verschwindet, aber auch darauf, ob nicht vielleicht doch irgendwo irgendwie viel zu früh aber dennoch aus meiner Sicht endlich mal was zu Rattes Gift zu lesen sein wird. Jetzt reicht’s – der Kopf ist wieder halbwegs klar, da kann ich dann auch mal wieder was vernünftiges schreiben oder doch wenigstens meine Ansichten zu Daniel Kehlmanns Die Vermessung der Welt in den Computer hacken.
Bei seinem Erzählungs-Roman oder wie immer man Ruhm nennen möchte, stand es für mich bestenfalls acht zu eins und dank des Hypes zum Erscheinen von Die Vermessung der Welt im Jahr 2005 brauchte ich schlappe vier Jahre, bis ich endlich zum lesen kam. Doch dafür wurde ich aufs angenehmste überrascht und bin nun nahezu hellauf begeistert von dem Buch, das vorgibt, eine Doppelbiografie von Carl Friedrich Gauss und Alexander von Humboldt zu sein.
Mir ist es auch ziemlich schnurz, was gut bis womöglich mühevoll recherchiert ist, wo Kehlmann dazu erfindet, ja womöglich absichtlich irgendwelche biographischen Fakten verstellt. Immerhin handelt sein Roman – und ein Roman ist es nun mal – von zwei faktenbesessenen Genies des 19. Jahrhunderts, die ihre Lebensängste durch messen, wiegen, katalogisieren, eben durchs Fakten sammeln in den Griff zu kriegen suchen, während das Ganze von einem durchaus ironiebegabten Menschen des 21. Jahrhunderts erzählt wird.
Hier werden Welten erzählt, so kommt es mir jedenfalls vor, da gelingt es jemand, den Bildungsroman mit dem Abenteuerroman zu verbinden, und weil es dabei um eigenbrödlerische Genies geht, bleiben die meisten der dazugehörigen Klischees außen vor. Biographischer Roman mischt sich mit Schelmenstück, und das Weltbild der historischen Zeit, in der das Ganze angesiedelt ist, gelingt. Endlich mal keine Wanderhuren oder Heiler, kein eskapistischer Kitsch …. aber das hier ist ja auch nicht einfach irgendein historischer Roman.
Und ich bin hellauf begeistert (gut, das Ende find ich überflüssig, warum es überhaupt mit Gauss‘ ungeliebten Sohn auf dem Weg in die Verbannung endet, statt bei seinen beiden Protagonisten zu bleiben, erschließt sich mit nicht ganz), obwohl ich weder ein Fan historischer Roman im allgemeinen noch des 19. Jahrhunderts im speziellen bin (Biedermeier … Restauration … da wird mir ganz anders, ganz mulmig, das ist nicht mein Ding), bedauer ich nur eins: dass ich das Buch schon ausgelesen habe. 😉
Welten erzählen
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