MO

MO – so nannte Friedrich Glauser das Morphium, das ihn ein Leben lang nicht losließ, wie auch seine literarische Sucht-Beichte. MO – Der Lebensroman des Friedrich Glauser, so heißt das bei Frank Göhre. Was wiederum ein Buch geworden ist, dass mich zumindest nicht so schnell losließ …

Ich geb’s zu: Zuerst war ich skeptisch. Für mich ist Frank Göhres "Montage" Zeitgenosse Glauser nach wie vor eins der besten Beispiele, wie man sich einem Menschen nähern kann, ohne im engeren Sinne seine Biographie zu schreiben. In dem Büchlein – so manche Zeitschrift ist dicker – nahm Göhre Aussagen von Glausers Zeitgenossen und montierte sie mit Briefen, Roman- und Erzählungsausschnitten und dergleichen mehr aus des Schriftstellers Feder zu einem Ganzen. Biographie als Patchworkarbeit …
In MO schreibt sich der Schriftsteller Göhre in den Kopf, ins Leben des Kollegen Glauser hinein. Bis in die eigentümlich, teils altertümlich anmutende Sprache des frühen 20. Jahrhunderts geht er dabei. Szenen, Skizzen, Schlaglichter, entstehen so, folgen dem Faden von Glausers Leben, und es ist unmöglich zu sagen, wo endet das Faktische, wo beginnt die Fiktion.
Aber das ist nicht wichtig, finde ich. Mag sein, dass dieses Buch nichts für Menschen ist, die nie zuvor etwas von Glauser gehört oder gelesen haben. Doch das scheint mir ein Grund mehr, sowohl Göhre als auch den Pendragon-Verlag für Mut und Konsequenz zu bewundern, mit der sie an dieses Buch gegangen sind. Es muss doch nicht alles immer für alle zu allen Zeiten gleich verständlich sein …
Mich fasziniert Glauser (und inzwischen auch der Kollege Göhre). Ich weiß nur bedingt, warum. Ob im getriebenen Leben oder seiner Schreiberei, ob in der Sucht oder in der Arbeit, Glauser hat etwas merkwürdig unbedingtes, bohrendes an sich. Die Unschuld des nicht anders könnens, vielleicht. Und damit meine ich ganz sicher nicht die Idee, Süchtige seien Kranke … diese Idee ist in meinen Augen höchst zweischneidig und wird der Sache nicht gerecht.
Zumal es mir um weit mehr als um Glausers Hang zu den diversen Schmerz- und Betäubungsmitteln geht. Es geht um eine Haltung oder vielleicht noch eher um eine Daseinsform. Unbedingt suchend. Jemand, der sich nicht einfach zufrieden gibt mit den Dingen, wie sie scheinen, wie sie doch schon immer waren, wie’s auch alle anderen sagen, sehen, halten, tun, etc.
Manchmal kommt’s mir bei Glauser vor, als beobachte er das Leben und die Menschen so unbestechlich und skrupellos genau, wie ein Kind, das eine Fliege bei lebendigen Leibe seziert – aus Neugier, Wissensdrang, einfach so.
Ob das so war, wer weiß es schon. Aber sich mit Frank Göhres MO Glauser und seinem Leben zu nähern, nun ja, ein ganz klein wenig süchtig macht das schon.
Ich bin gespannt, ob Göhre noch mehr zu Glauser schreiben wird oder ob der ihn infiziert hat mit der endlosen Suche nach Wahrheiten und Wissen und was immer noch hinter dem nächsten Gedanken, der nächsten Geste liegen mag …

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