Immerhin fünf von sieben Tanzstücken, die am letzten Freitag im Rahmen des Festivals 638 Kilo Tanz und andere Delikatessen gezeigt wurden, konnte ich mir ansehen: White Out, Glühendes Orange, Rabbit in Human Habit, Pluck It Before It Fades und Tri Bru – keins wie das andere, aber allesamt sehr sehenswert, wie ich finde.
Whiteout von und mit Philline Herrlein und Jennifer Döring dreht sich laut Programmheft um das Phänomen des Schlafes und Schichten der Wahrnehmung, aber für mich war es vor allem ein ungemein ästhetischer Kraftakt zweier Tänzerinnen, der spannende Fragen über das Abstrakte aufwarf: Wenn ein Stück Tanz weder eine Geschichte erzählen noch ein Musikstück in Bewegung verwandeln will – welchem Faden folgt es dann und vor allem, wie kann so etwas ein befriedigendes Ende haben oder auch nur eines, das der Zuschauer als solches unmittelbar versteht? Kreisschluss, so könnte man Herrleins und Dörings Antwort nennen, naheliegend (im Wortsinn und zugleich mehrfach gedoppelt) und zugleich elegant.
Glühendes Orange verbindet Text und Tanz auf eine Weise, die zumindest ich bisher so noch nie gesehen habe. Der Text – erst einer, der an einen Schlager erinnert, dann ein zweiter, der Alltägliches mit Poetischem, Surrealem und Absurdem verbindet – liefert die Impulse für den Tanz. Anstelle der Musik könnte man denken. Oder vielleicht im Sinne einer getanzten, gespielten Variante von Gebärdensprache. Doch nichts dergleichen. Es wirkt, als würde der Text zur Bewegung, ganz ohne Umwege. Faszinierend für mich als Beinahetänzerin, die zur Autorin wurde. Ich bin gespannt, ob Maria-Lena Kaiser, die dieses Stück choreografierte und gemeinsam mit Johann Geidies auf die Bühne brachte, diesen Weg weitergehen und wohin sie das führen wird.
Rabbit in Human Habit ist ein akrobatisches Kunst-Stück mit einer guten Portion Humor, das Sasa Pavic ’servierte‘. Trotz mancher Länge brachte er das Publikum immer wieder zum Lachen und zum Staunen — und selbst, wenn es mit zwischendrin zu sehr in sich selbst gewunden, sich selbst wiederholend erschien, es war doch gut, es gesehen zu haben.
Pluck It Before It Fades von Raymond Liew Jin Pin ist eine haarige Angelegenheit. Führten im Stück zuvor Pavics Hände bzw. seine Finger ein Eigenleben, fast so, als seien sie seine Tanzpartner, waren es in dieser Choreografie die Haare der Tänzerinnen Chi Ching-Yu und Chen Ying-Chi, die eine ganz ähnliche Sonderrolle einnahmen. Ist das Haar von Tänzerinnen sonst eher etwas, das gezähmt, gebändigt, gar verbannt gehört, wird es hier lebendig im besten Sinne.
Tri Bru mag nur ein kurzes Stück sein, wie eine explosive, intensive Begegnung zweier Freunde, doch das Duett von Yves Miranda und Tim Cecatka war dennoch atemberaubend. Schnell, physisch, ein doppelter Wirbelwind. Ein bisschen ungestüm an manchen Stellen (die ließen mich an zwei Fohlen auf der Weide denken) – aber so, dass ich mich freuen würde, in Zukunft neues von den beiden zu sehen.