Erstens kommt es anders … ich dachte noch, nach der so schwach besuchten Vernissage von "Engel und andere schräge Vögel" könnte es nur noch besser werden. Falsch gedacht: Bei der heutigen Finissage waren wir gerade mal zu viert. Ich hab aber keine Lust, mich enttäuscht meinem Frust hinzugeben. Statt dessen schreib ich lieber über zwei mehr oder weniger wunderbare Beispiele von Ent-Täuschungs-Literatur: The Writing Class von Jincy Willett und Nach Mitternacht von Irmgard Keun.
Irmgard Keun gilt als eine heute leider vergessene Autorin – oder vielmehr gehört sie zu den deutschen Schriftstellern, deren Bücher zu Zeiten der Weimarer Republik sehr beliebt waren, um dann von der braunen Brut der Nazis verboten zu werden. Nach dem Exil konnte sie nie wieder an die Erfolge des Kunstseidenen Mädchens oder Gilgi, eine von uns anknüpfen.
Keun ist komisch und dabei schonungslos. Sie folgt konsequent dem Ansatz, dass neben den sprichwörtlichen Kindern und Betrunkenen junge, leicht naive Mädchen die Wahrheit aussprechen. Doch nicht nur die Jungmädchen-Prespektiven voller Träume von Glanz und Glorie oder wenigstens von einem Tabakladen und einem unbespitzelten Leben sorgen für ihre ganz spezielle Mischung aus Komik und Ernst.
Hinzu kommt eine besondere Sprache – eben die eines ungebildeten, jungen Dings, das gerne mehr wäre, als es ist, sich mit fremden Wortfedern und seltsam-verunglückenden Metaphern schmückt und dabei übersieht, wie klug sie schon ist. Diese Sprache allerdings, die Sprachspiele, der Wortwitz – nun, all das ist mitverantwortlich, dass Irmgard Keun heute kaum mehr bekannt ist. Diese Sprache ist ganz Spiegel ihrer Zeit und altert nicht unbedingt zu ihrem Vorteil …. dennoch, man sollte sich davon nicht schrecken lassen. Denn wo sonst bekommt man einen Einblick in den Alltag der Nazizeit, der sowohl authentisch ist als auch ohne jeden Pathos, ohne Zeigefinger auskommt?
Wo Keun die Nazis und deren Mitläufer beiläufig enttarnt, also ent-täuscht, ist die Illusion, die Jincy Willett in The Writing Class erst entstehen lässt, um sie anschließend lustvoll zu entblättern, einerseits banaler, weil rein fiktionaler Natur, andererseits in mehr als einer Hinsicht hochspannend — und das, obwohl ich sonst der Ansicht bin, Schriftsteller, die über Schriftsteller schreiben, sind ebenso egozentrische wie faule Langweiler.
Jincy Willett schreibt nicht einfach nur über die Schriftstellerin Amy Gallup, diese ist zudem noch Dozentin für kreatives Schreiben (ja, genau deshalb hab ich das Buch von einer befreundeten Kollegin geschenkt bekommen …) – und in ihrer Schreibklasse ist ein "Sniper", ein von all den Absagen enttäuschter Möchtegernautor, der erst zur verbalen Giftspritze greift (anonym, natürlich), dann seine Mitstudenten und Amy mit üblen Streichen verunsichert und schließlich zwei Menschen umbringt …
Spannend und komisch zugleich ist das Spiel mit dem Schreiben, mit den Fiktionen in der Fiktion, vor allem dank des cleveren Grunddilemmas: Einerseits ist diese Klasse die beste, die Amy je hatte, und die Gruppendynamik funktioniert so hervorragend, dass sogar die einsiedlerische Dozentin aus ihrem sozialen Schneckenhaus gelockt wird – d.h. da läuft etwas, das alle lieben, das weiterlaufen soll. Andererseits ist unter ihnen ein Mörder, und sie haben lange keine Chance herauszufinden, wer das ist.
Mich hat überrascht, wie gut das Muster trägt. Normalerweise mag ich komische Krimis eher selten. In Romanlänge bedeutet das zumeist, dass Spannung und Glaubwürdigkeit leiden – und dass ich bald die Lust verliere, weiterzulesen.
Dieses Buch mochte ich kaum aus der Hand legen. Zumal es doch so manche Anregung für meinen nächsten Workshop enthält … 😉
Schade, dass ich nich die Fünfte bei der Finissage sein konnte – is „einfach“ zu weit weg – seeehr schade 🙁 !
Das wäre schön gewesen … aber vielleicht wird es ja auch mal wieder etwas mit einer neuen Ausstellung bei Euch im Süden … 😉
mischa