Eigentlich mag ich keine Polizeiromane. Bis ich Leichensache, den ersten Kriminalroman von Norbert Horst las und begeistert war – da ging’s nicht um Superbullen oder Serienmörder, da ging es um einen mehr oder weniger (un)sympathischen Menschen namens Konstantin Kirchenberg, der bei Polizei arbeitet, wie andere Menschen Bäcker; Beleuchter oder Baggerfahrer sind. Und darauf hatte wohl nicht nur ich gewartet …
… aber was die anderen Kritiker und Leser denken, ist deren Sache. Ich hab gerade Sterbezeit aus den Händen gelegt und bin noch immer leicht benommen (gut, ein Teil dieses Gefühls mag vom Baggerdauerdröhnen vorm Haus kommen ;-).
Musil schrieb über literarische Fiktionen im allgemeinen und Romane im besonderen, da ginge es nicht um das, was wirklich geschehen sei, vielmehr sei dies die Kunst des Möglichen. Ja, doch, all die Fälle, die Norbert Horst beschreibt, kommen mir denkbar, möglich vor. Wahrscheinlicher als all das normal-spektakuläre Zeug, das man sonst zwischen zwei Buchdeckeln findet, auf denen vorne "Kriminalroman" drauf steht, sind sie allemal. Und, was in meinen Augen viel wichtiger ist (manchmal ist Realismus was für Weicheier … nicht bei N.H., aber generell schon): um Klassen literarischer ist das, was er schreibt, sowieso.
Mir kommt’s manchmal vor, als ob er eine eigene Sprache für das gefunden hat, was für Polizisten, für Mordermittler, Arbeitsalltag ist, von uns anderen jedoch weit weg, auch gern weit weg geschoben wird: wir alle sterben, das ist eine der großen Wahrheiten, die Norbert Horst in seinem neuen Roman so gelassen ausspricht, dass sie keineswegs banal wird. Und wir alle altern, nein: wir alle werden alt und irgendwann, hoffentlich im Alter, hoffentlich schnell, schmerzlos, gnädig, kommt die Zeit des Sterbens. Mord ist letztlich, so könnte man den Gedanken bis auf die Spitze treiben, nur eine Form dessen, was auf uns alle wartet, und so absolut die Grenze zwischen Leben und Tod ist (oder scheint sie das nur?), so schwer ist oft zu fassen, wie die mögliche Beteiligung eines Menschen am Sterben eines Dritten ausgesehen haben mag.
Klingt grauslig philosopohisch, was ganz auf mein Konto geht. Denn in Sterbezeit ist all das einfach, da muss nichts groß erklärt werden am Ende. Egal, ob es um Tod oder Leben oder die Liebe geht.
Tja, nichts davon erinnert an die gängigen Polizeiromane. Und so bleibt’s dabei, eigentlich mag ich keine Polizeiromane. Aber ich hab noch kein Buch von Norbert Horst gelesen, das mich nicht gepackt hätte, und zwar auf eine Art, die ich so sonst nicht gewohnt bin. Von daher – wen kümmert’s, was der Verlag aufs Cover schreibt, wie der Kritiker seine Rezension zuordnet, solang das zwischen den Buchdeckeln so gut, so spannend, so menschlich, eben im allerbesten Sinne Literatur ist?
Spektakulär und doch Alltag
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