oder: Jedem Ende wohnt ein Anfang inne
Gestern feierten über 1000 Bücherbegeisterte in der Essener Lichtburg das Ende einer Ära, denn Beater Scherzer und Peter Kolling verabschiedeten sich von ihrer wunderbaren Buchhandlung Proust Wörter + Töne nach langer, banger, aber letztlich erfolgreicher Nachfolgesuche in den bislang aufgeschobenen Ruhestand. Stimmt alles, aber so kann ich doch nicht über meine Lieblingsbuchhandlung schreiben und auch nicht über das Abschiedsfest.
Aber wie dann? Sie war(en) doch immer da, sagt eine kleine, etwas quengelige Stimme in mir. Schon bevor es Proust in den schönen, hellen Räumen nahe des Essener Hauptbahnhofs gab (und das gibt es seit immerhin 19 Jahren), gab es die Heinrich-Heine-Buchhandlung im Grillo-Theater, meinem zweiten Wohnzimmer. Der perfekte Ort für jemand wie mich – oben Bühne und das Café Central, seinerzeit das schönste Café Essens, und unten die Buchhandlung. So ziemlich alles, was ich zum Glücklichsein brauche, an einem Fleck (zumal mein Lebensmensch im Grillo arbeitete). Und erst die Lesungen – Schauspielerlesungen mal unten in der eher winzigen Buchhandlung (die im Innern ein Raumwunder war!), mal oben im Café. Mit Claus Boysen hatte ich hier meine allererste Lesung in Essen, die zugleich die zweite oder dritte meines Lebens gewesen sein dürfte. Ich weiß gar nicht mehr, was ihn auf die Idee brachte, denn da hatte ich neben den Drehbüchern noch keine Handvoll Prosatexte veröffentlicht.
Zugleich passt das, denn ob noch als Heinrich-Heine-Buchhandlung im Grillo-Theater oder schon als Proust am Bahnhof,Beate und ihre Kolleg:innen waren für mich als Autorin genauso wichtig wie als Leserin. Wenn sie wussten, ich arbeite gerade an einem bestimmten Thema, kamen oft von ihnen die besten Buchtipps dazu – und auch so manche Warnung: „Nein, den Autor lies besser nicht, das bringt dich nicht weiter“ oder gar „Den verkaufen wir dir nicht, das schadet deinem Schreiben“. Und während mich sonst Verbote gern mal zum Übertreten reizen, hielt ich mich stets an die meiner Buchhändler:innen. Daran änderte sich auch nichts, als einer der beiden Autoren anfing, einen Bestseller nach dem anderen rauszuhauen …
Das gehört für mich auch zu dem, was Proust ausmacht: Keine Tische mit Bestsellern, keine Stapel Mainstream, kein Fastfood aus Wörtern, praktisch nichts von dem, was einem in den üblichen Buchhandelskettenfilialen den Blick auf die Bücher verstellt. Sondern besondere Bücher, Buchentdeckungen prosaischer wie lyrischer Art, dazu Klassiker und nach dem Umzug und dank Peter, jede Menge Musik. Jazz und Klassik vor allem, aber die CDs streifte ich stets nur. Reine Vorsichtsmaßnahme. Hätte ich damit einmal angefangen, ich hätte kein Ende gefunden.
Genau wie bei den Büchern. Weil Proust, weil Beate und Peter und ihre Mitarbeiter:innen auch Theaterpremieren und Opernvorstellungen mit exquisiten Büchertischen begleiteten, konnte es durchaus passieren, dass ich nichtsahnend jenseits von Buchläden und dem Proust-Onlineshop (mein externes Literaturrecherche- und Lektürewunschgedächtnis, das ich nicht missen möchte!) sozusagen versehentlich unterwegs hier und da neues Leseglück aufgabelte. Genau wie es im Laden in der Akazienallee immer mal wieder passieren mochte, dass ich eigentlich nur ein vorbestelltes Buch abholen wollte, dann aber in einem halbsstündigen oder noch längeren Gespräch, womöglich bei Peters köstlichem Kuchen und einem Cappuccino endete.
Ich bin gespannt, wie das nun werden wird, wo Marion und Johanna Leibecke Proust übernommen haben. Vor anfallsartigem Musikkaufrausch dürfte ich nun sicher sein, wenn an der kleinen, aber feinen Umbenennung in „Proust – Wörter + Schönes“ etwas dran ist. Kaffee sollte es weiterhin geben und gute Literatur sowieso. Wie gut, dass es weitergeht mit der Lieblingsbuchhandlung von mir und rund 1000 weiteren Essener:innen, die vermutlich ähnlich wie ich während der langen Nachfolgesuche bangten. Nicht auszudenken, was es für die Essener Innenstadt, die Essener Literaturszene und für uns Büchermenschen bedeutete hätte, wäre Proust nun ganz und gar Geschichte.
Wie wunderbar, dass sich Beate und Peter dem Unverständnis von Bankern zum Trotz trauten und dieses Juwel aufbauten. Und gut zu wissen, dass auch diese beiden uns nicht ganz verloren gehen, wo sie doch die Literarische Gesellschaft Ruhr (mit)gegründet haben, deren LeseRaum nur wenige Meter von Proust entfernt ist …
Danke für alles! Und über das Fest gestern schreibe ich wohl besser ein anderes Mal 😉