Zwischen Vesteralen und Lofoten

Tag zehn unserer Reise mit den Hurtigruten ist womöglich der mit den meisten Höhepunkten. Er beginnt mit einem Interessenpunkt an Deck. Wir durchfahren Risøyrenn, die künstlich auf 6 Meter vertiefte Risøy-Rinne, dank der die Vesteralen seit 1922 auch von größeren Schiffen direkt angelaufen werden können. Rund 40 Jahre hatte sich Hurtigrutengründer Richard With dafür eingesetzt und es wird deutlich, dass die Postschiffe in gewisser Weise für Norwegen eine ähnliche Rolle spielten wie der Bau der Eisenbahn für das Zusammenwachsen Kanadas.

Nachmittags erreichten wir Stokmarknes, wo wir das Hurtigrutenmuseum direkt am Kai besichtigten. Dieses Museum ist quasi rund um sein Hauptausstellungsstück, die MS Finnmarken aus dem Jahr 1956 gebaut, was es schon beim Blick von außen zu einem imposanten Anblick macht. Daneben sind aus der DS Finnmarken noch der Salon (mit viel Samt und einem Klavier!) und Kabinen aus dem Jahr 1912 zu sehen, sodass man hier eine Art doppelter Zeitreise unternimmt. Schade nur, dass man dafür nur eine dreiviertel Stunde Zeit hat, wenn man sein eigenes Schiff in seiner eigenen Zeit nicht verpassen möchte. Hier könnte man sonst Stunden verbringen, alles ganz genau erkunden und noch tiefer eintauchen in die Geschichte(n).


Mehr Geschichten und atemberaubende Aussichten erwarteten uns am Nachmittag auf unserer MS Richard With, denn diesmal ließ es das Wetter zu, in den Trollfjord einzufahren. Dieser 2 km lange Seitenarm des Raftsunds zwischen den Vesteralen und den Lofoten entstand der Legende nach durch den Wurf der riesigen Axt eines Trolls namens Hinnøgubben, der beim Streit um die besten Weiden für seine Kühe hier stürzte. Knapp hundert Meter breit ist die Einfahrt in diesen Fjord, und mit einem quasi „lautlosen“ Hybridschiff hindurchzusegeln und sich dann zwischen annähernd 1000 Meter hohen Felshängen wiederzufinden, Seeadler und andere Vögel inmitten scheinbar unberührter Natur zu sehen, ist geradezu überwältigend. Alles um einen herum ist groß, majestätisch, erhaben, scheint beinahe ewig – man möchte eine Sinfonie komponieren oder all das in einem Gemälde, wenigstens einem Gedicht einfangen.

Doch unsere Fahrt geht weiter, und es warten ja noch die Lofoten am Abend auf uns. Diesmal gehen wir in Svolvaer an Land, um per Bus die Insel diesmal südgehend zu erkunden. Unser erster Halt war das in jedem Sinne des Wortes malerische Henningsvaer. Manch einer nennt es wegen des Wasserweges quer durchs Dorf „das Venedig des Nordens“, anderen gilt es als „schönstes Fischerdorf Norwegens“, mir erschien es „Taos Norwegens“. Jedenfalls begann unser Besuch hier in der Galleri Lofoten, wo ein Film die Geschichte der Fischerei Norwegens anhand der der Malerei des Landes bis in die Moderne nachzeichnete, was passend mit norwegischer Musik unterlegt war. So eingestimmt durchstreiften wir auf eigene Faust die Ausstellungsräume , die zum einen die größte Sammlung von Gemälden des sogenannten goldenen Zeitalters nordnorwegischer Malerei und zum anderen zeitgenössische Maler präsentierten. Schwer, ja unmöglich zu sagen, welche Gemälde hier am meisten beeindruckten.

Wieder draußen, kündigte sich über der Bucht die Abenddämmerung an. Deren stille Schönheit, so erhaben wie dem Moment verhaftet, nahm mich vollständig gefangen. „Würden wir hier leben, ich würde sofort wieder anfangen zu malen – reine Notwehr, wo soll man denn sonst hin mit all der Schönheit?“, sagte ich zu meinem Lebensmenschen, und bedauerte, dass das keine Option war. Wie muss das sein, hier zu leben, jeden Tag in dieser atemberaubenden Natur, wo das Wetter die Weite des Meeres und des Himmels von Sekunde zu Sekunde verändert und immer neue, vermutlich sehr oft spektakuläre Ansichten hervorbringt?

Und spektakulär ging es weiter, denn auf dem Weg zum nächsten, geplanten Aussichtspunkt fuhren wir in einen Sonnenuntergang hinein, dem ich weder mit unseren Fotos noch mit meinen Worten gerecht werden kann. Über eine gute halbe Stunde hinweg verwandelte sich der Himmel in allen nur denkbaren Rot- und Orangetönen, tauchte die Landschaft und das Meer unter sich in immer dunklere Blau- und Violettschattierungen. Man wusste gar nicht, wohin man zuerst schauen sollte.

Fast ein bisschen gebeutelt von all der Schönheit erreichten wir im Dunkel die MS Richard With, die mit all ihren hell leuchtenden Fenstern aus dem Schwarz des Hafens herausstach, als wollte sie uns nach Hause rufen.

Als ob das Housekeeping schon morgens wusste, wie viele Höhepunkte uns zwischen den Vesteralen und den Lofoten an diesem Tag erwarteten …
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