Grenzen und Winken

An Tag 7 erreichen wir mit Kirkenes den östlichsten Punkt der Seereise und zugleich den Wendepunkt. Von nun an heißt es „hinunter in den Süden“ für die MS Richard With. Aber wir steigen in Kirkenes erst einmal in einen Bus, um zur norwegisch-russischen Grenze zu fahren.

Die beiden Grenzpfosten, die allerdings in Kirkenes beim Grenzkommissariat und nicht an der eigentlichen Grenze stehen

Auch hier hatten wir Glück mit dem Wetter, das zwar nicht mehr ganz so sonnig war wie tags zuvor am Nordkap, aber immer noch schön und angenehm warm. Gefroren haben wir allerdings doch, nämlich bei der Führung und dem Film in der Andersgrotta, in der die Menschen in Kirkenes im zweiten Weltkrieg Schutz vor den Bomben suchten und fanden. Hier hörten wir zum ersten Mal erstaunt, dass viele Norweger die deutsche Besatzung nicht ausschließlich negativ sahen (und sehen), weil die Deutschen Infrastruktur in den lang vernachlässigten hohen Norden brachten. Dass sich in Grenzregionen komplexe Beziehungen zwischen den Nachbarn ergeben, die oft stark von denen ihrer jeweiligen Regierungen abweichen, liegt auf der Hand. Ich hätte gerne noch mehr darüber erfahren, wie das heute im Alltag aussieht, doch dafür hätten wir sehr viel mehr Zeit hier in Kirkenes verbringen müssen, Tage, vermutlich Wochen, und wir hatten ja nur ein paar Stunden.

An den realen, physischen Grenzen wie der zwischen Norwegen und Russland bei Kirkenes, sieht man naturgemäß wenig bis nichts von den menschlichen Beziehungen. Beziehungsweise von irgendetwas anderem – denn außer Parkplätzen, Warnschildern und Landschaft mit hässlichen Grenzgebäuden gab es nur einen Kiosk, in dem man Andenken kaufen konnte, darunter Ikonen und Postkarten, aber auch Matrioschkas mit den Gesichtern moderner Politiker. Ungewöhnlich war vor allem, dass man hier nur mit Bargeld zahlen konnte, während dieses im Rest des Landes mehr und mehr zu reinen Randerscheinung wird.

Apropos Kommerz: Auf der MS Richard With haben wir stets das Gefühl, auf einer Reise zu sein und nicht etwa auf einer Verkaufstour. Selbst auf Englandfähren gibt es mehr Verkaufsflächen und in Dokumentationen kamen mir die Riesenkreuzfahrtschiffe von Aida bis Mein Schiff stets wie grauenerregende Kreuzungen aus Shopping Malls und Vergnügungsparks vor. Natürlich kann man auch auf einem Hurtigrutenschiff Dinge kaufen, doch vieles davon ist schlichtweg nützlich. Uns kamen die Taschentücher, Nasentropfen und Hustenbonbons, von denen wir dank Erkältung mehr als erwartet & eingepackt brauchen, sehr gelegen und hätte ich es versäumt, quasi auf dem Weg zum Flughafentaxi noch rasch meine wärmere Strickjacke einzupacken, hätte ich hier praktische Ersatzkleidung gefunden.

Doch generell ist das hier eben ein Postschiff mit einer Aufgabe und keine Kreuzfahrt im üblichen Sinne. Hier werden die Gäste nicht mit Musik dauerbeschallt oder von Animateuren zwangsbespaßt. Natürlich gibt es Angebote wie die täglichen Vorträge unter Deck wie auch draußen, die informativ und unterhaltsam sind und die man besuchen kann oder nicht. An diversen, öffentlichen Orten finden sich Bücher in verschiedenen Sprachen, die man sich nehmen und lesen kann (und ich werde auch eines an Bord lassen :-)) und Spiele noch dazu. Doch selbst, wenn der Service zuvorkommend ist, das Essen wirklich gut, die Hauptattraktion ist und bleibt die Landschaft draußen und das Meer.

Selbst, wenn an einem Interessenpunkt wie heute bei Vardo die Wale ausbleiben und die Vögel der Vogelinsel Abstand zu uns halten, ist es einfach nur atemberaubend schön. Und wenn man noch Atem übrig hat (bei Schnupfennasen wie den unseren ein Glück), kann man ja dennoch abends mitmachen beim „Winkewettbewerb“ und sich mit allen anderen ganz sicher sein, dass wir auf der MS Richard With viel doller gewunken und gerufen haben, als die Menschen auf der MS Nordnorge. 😉

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